Madama Butterfly verwandelt sich in Medea. © Janosch Abel.

 

 

 

Madama Butterfly. Giacomo Puccini.

Oper.                  

Péter Halász, Nigel Lowery. Konzert Theater Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. Januar 2020.

 

 

"Regie und Ausstattung: Nigel Lowery." Diese Zeile im Programmheft bedeutet: Ubers Werk wird ein Bild gelegt. Und: Die Ränder von Bild und Werk sind nicht deckungsgleich. – Bei den einen Zuschauern bewirkt diese Vorgehensweise Enttäuschung: Die Inszenierung geht nicht auf! Die andern jubeln: Lowery hat einen doppelten Boden eingezogen! Wer hat recht?

 

Am Berner Stadttheater spielt der erste Akt der "Butterfly" nicht auf einem Hügel bei Nagasaki, sondern auf dem Hauptdeck eines Dampfers. Ein Kamin steigt aus der Bühnenmitte auf, seine schwarze Rauchfahne hängt bedrohlich in der Luft. Das bedeutet: Butterflys Ehe wird keinen Bestand haben. Die Handlung entwickelt sich nicht auf festem Boden. Das Bühnenbild ist hier also nicht Abbild, sondern Sinnbild.

 

Eben ist Pinkerton, der künftige Gatte, mit imperialer Wucht in den Hafen eingefahren. Matrosen hantieren mit Waren. Für die Dauer seines Aufenthalts versorgt sich der junge Leutnant bei einem Mädchenhändler mit knackiger Ware zur Befriedigung der emontionalen und sexuellen Bedürfnisse. Wenn er nach ein paar Wochen wieder in die Vereinigten Staaten dampft, lässt er die kleine, 15jährige Geisha zurück, verraten und verkauft, und schwanger obendrein. Man versteht, dass sie einem Ugly American aufgesessen ist.

 

Der erste Akt der Oper nähert sich seinem Ende zu. Das frischvermählte Paar entfernt sich in die Kabine, während die Coda das Butterfly-Thema intoniert. Das Licht schwindet. Und da, im fahlen Dämmern, steigt eine stumme weibliche Figur aus dem Schiffsbauch heraus: Pinkertons Verlobte!

 

Realistisch gesehen – und "Butterfly" ist ja  eine realistische, sogar veristische Oper – geht der Aktschluss nicht auf. Wenn unten in der Kabine die Verlobte mitfuhr, brauchte der junge Offizier kein Mädchen aus Japan zu kaufen. Doch die Lowery-Adepten werden entgegnen, durch diese Erscheinung denunziere eben der Regisseur die kapitalistische Doppelmoral. Zuhause: Sex erst nach vollzogener Eheschlies­sung. In der Fremde aber: Absamen um jeden Preis. The American way of life. Pfui. – Doch wie auch immer man zur Sache steht: An der Unschärfe der Ränder zeigt sich die Uneinheitlichkeit der Inszenierung.

 

Die Akte 2 und 3 spielen ein Jahrhundert später. Der Hügel, von dem die Oper im ersten Akt sprach, wird jetzt überragt von hoch aufstrebenden Geschäfts- und Industriebauten. Im Hintergrund werfen Krane ihre mächtigen Arme in die Luft. Das Land der aufgehenden Sonne ist im Sumpf der Konjunktur versunken. Immer noch harrt aber die verratene Geisha zwischen zwei schäbigen Bretterbuden auf Pinkertons Rückkehr. Wenn er am Ende wiederkommt, diesmal begleitet von der Angetrauten, so nur, um sein Kind abzuholen und mit hinüber zu nehmen auf den amerikanischen Kontinent.

 

Realistisch gesehen bedeutet der Wechsel der Szenerie vom ersten Akt zu den beiden folgenden, dass die Figuren nicht vier, sondern hundert Jahre älter geworden sind. So überträgt sich die Unschärfe der Ränder auf die Chronologie. Die Lowery-Adepten werden erwidern, vom Effekt her betrachtet, spiele das keine Rolle. Hauptsache, das Bild tue Wirkung. Soll man diese Erklärung annehmen?

 

Das Ende der Oper mündet in ein massives Orchestertutti, das die Kadenz vermeidet. Mit diesem Geniestreich lässt der Komponist den Schluss in der Schwebe. Das Drama hat musikalisch keine Lösung. Die Inszenierung aber überblendet an dieser Stelle Puccinis Oper mit Euripides' "Medea". In der Hütte bringt Butterfly, dem Zuschauerauge entzogen, nicht nur sich, sondern auch den Jungen um. Ob das mehr ist als ein Effekt? Jedenfalls: Unschärfe der Ränder; beziehungsweise: doppelter Boden.

 

Doch wie immer man das sehen will – das Problem der Lowery-Produktionen ist, dass der Regisseur die Figuren nicht zu beleben versteht. Er kann sie nur beschäftigen. Da wird Wäsche abgehängt, da werden Gartenstühle verschoben, da wird Tee eingeschenkt. Und immer erinnern die ungelenken Aktionen ans Vereinstheater.

 

Dazu gehört, dass die Darsteller kaum interagieren und häufig, allzu häufig nach vorne singen. Die Lowery-Adepten werden erklären, daran zeige sich eben die Vereinzelung des Menschen. Dem Einwand, das mache Lowery in all seinen Inszenierungen so, werden sie entgegnen, daran zeige sich eben seine Handschrift. Ja, werden die Gegner antworten, um den Preis einer über­zeugenden Neudeutung des Werks.

 

An der Premiere bietet die Orchesterleistung kein einheitlicheres Bild. Péter Halász, erstmals in Bern, ist mit der Akustik des Hauses noch nicht vertraut. Darum sind bei ihm die lauten Stellen arg übersteuert. Und das Piano bleibt unbelebt. Von einem durchgängigen musikalischen Fluss, gar einer Idee, ist also an der Premiere noch nichts zu hören. Das Orchester absolviert Nummer auf Nummer, ohne den Charakter des Missmuts je ganz abzulegen. Nach­justierung tut not.

 

Inhomogen auch die Sängerschaft. Die Darstellerin der Butterfly, Lana Kos, strahlt grosse Identifikation mit der Rolle aus. Aber das Korsett, in dem sie gehalten wird, ist zu eng geschnürt. Immer wieder muss sie, wie die anderen, ihre Kraft aufbieten, um vom Orchester nicht niedergewalzt zu werden. Wenn sich die Dynamik an den Folgevorstellungen einreguliert, wird die Kos noch Atem, Weite, Schönheit und Innigkeit verströmen. Das hat sie vor zwei Jahren bei Jochem Hostenbachs "Trovatore"-Dirigat unter Beweis gestellt.

 

Ebenfalls vor zwei Jahren trat Xavier Moreno schon in Bern auf, damals als Don José, jetzt als Pinkerton. Die Lautstärke des Orchesters macht ihm zu schaffen. Die Rolle auch. Hat er sie gefunden? Weiss er, was er sagen will? Er zeigt vor allem, dass er leidet und dass er ein kleines Würstchen ist. Doch wie ist es möglich, dass sich Butterfly in ihn verliebt, und zwar vom ersten Moment an? Ach ja. Die Aufführung ist konsequent anti-veristisch. Das darf man nicht vergessen.

Die Show ... 

... des Ugly American.  

 
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