Szenisches Wikipedia. © Anja Köhler.

 

 

 

Antoinette Capet, die Österreicherin. Niklas Ritter.

Schauspiel.                  

Niklas Ritter, Tilman Ritter. Vorarlberger Landestheater.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 18. Januar 2020.

 

 

Bei der Uraufführung von "Antoinette Capet, die Österreicherin" am Vorarlberger Landestheater ist der Bühnenbildner sein eigener Regisseur. Und der Regisseur ist sein eigener Autor. Bei so viel Nähe ist Betriebsblindheit nicht zu vermeiden. Der Bühnenbildner merkt nicht, dass das Ensemble unverständlich spricht. Und der Regisseur wagt nicht, die Vorlage zu kürzen. Das Ergebnis ist eine zähe Show von drei Stunden und zehn Minuten, die sich nie zum Stück ballt. Viel G'scher und wenig Wolle (Bümplizer Volksmund).

 

Der Faden, dem der Autor folgt, ist in Wikipedia abgebildet: Das Leben der Marie Antoinette von der Geburt bis zum Tod. Also ein Ablauf. Kein Stück. Dafür aber ist der Abend tauglich als Repetition für die Geschichtsmatura. Alle biografischen Stationen der Österreicherin kommen vor: Die "Übergabe" mit vierzehn an Frankreich. Das Leben in Versailles. Der Konflikt mit der Dubarry. Die Geburt des Dauphin. Der Hungeraufstand. Die Generalstände. Der Nationalkonvent. Das Finanzgutachten des Barons Necker. Der Fall der Bastille. Die Revolution. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Flucht nach Varennes. Das Schafott ... Eine hohe, eine sehr hohe Anzahl von Themen. Sie ergeben eine Woche Schulfunk. Aber kein Stück.

 

Um die Dürre der Chronologie zu befeuchten, lässt Regisseur Niklas Ritter von einem Mann namens Tilman Ritter Musik für drei Ausführende schreiben, die Piano und Keyboard, Cello und Schlagwerk betätigen. Der Schulfunk kommt damit phasenweise in die Nähe des Musicals. Das ist angenehm für die Gymnasiasten und die Angehörigen der Berufsschulen. Die Älteren aber vermissen weiterhin die künstlerische Qualität der Geschichtsdramen, wie sie Franz Grillparzer, der Österreicher, und Friedrich Hebbel, der Wahl-Wiener, im neunzehnten Jahrhundert hervorzubringen verstanden, und im zwanzigsten George Bernard Shaw, Peter Shaffer und Robert Bolt.

 

Aber eben, um ein Drama aufführen zu können, müsste man Schauspieler haben, die reden können. An der Aufführung von Bregenz ist ein einziger durchgehend verständlich: David Kopp. Die anderen sind es nur in einer Brandbreite von sechzig bis zwanzig Prozent. Damit werden sie vom Vorarlberger höchstens ans Salzburger Landestheater weiterkommen (Aufstieg von 427 auf 424 m ü.M.).

 

Jakob Minor, der Begründer der Wiener Germanistik, stellte bei Adolf Sonnenthal (dem Wallenstein, dem Nathan, dem Lear des Burgtheaters) fest: "Selbst die treuen Wiener sagten: 'Er redet wie verschnupft'. Zum Teil hing das ja mit dem Ansatz der Stimme tief hinten am Gaumen zusammen; zum grössten Teil aber war es die Schuld mangelhafter Artikulation. Hier merkte man, dass es im Burgtheater lange Jahre an einem treuen Spiegel gefehlt hat; dieser Spiegel, den auch der grösste Schauspieler nicht entbehren kann, ist der Direktor. Lewinsky und Robert haben bei Laube sehr scharf artikulieren gelernt." (Ins Stammbuch der Intendantin Stephanie Gräve.)

 

Unter diesen Bedingungen inszeniert Niklas Ritter als sein eigener Bühnenbildner (unterstützt von Justus Saretz) vor allem fürs Auge. Und da gelingen ihm immer wieder überraschende Wirkungen. Ach, man hätte ihm ein wirkliches Stück geben sollen (statt ihn selber eine Vorlage schreiben zu lassen), zum Beispiel "König Ubu". Dann hätte er mit der gleichen Ästhetik vermutlich einen dichteren und erst noch kürzeren Abend zustandegebracht. Jetzt aber richtet sich die Anklage, die Ubu in Alfred Jarrys Groteske vorbringt, gegen ihn und seine Intendantin: "Haben Sie Bohnen in den Ohnen?!"

Eine Aufführung ... 

... vor allem ... 

... fürs Auge. 

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