Symmetrische, sängerfreundliche Aufstellung. © Ruppert Larl.

 

 

 

Don Giovanni. Wolfgang Amadeus Mozart.

Oper.          

Lukas Beikircher, Kurt Josef Schildknecht, Heinz Hauser. Tiroler Landestheater Innsbruck.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 16. Juni 2019.

 

 

Am Tiroler Landestheater wird die Premierenfeier in der Kantine durchgeführt. Da verrät Intendant Johannes Reitmeier für die Freunde des Hauses endlich den Regiegedanken, dem sie in der Pause vergeblich nachgegrübelt haben: "Kurt Josef Schildknecht hat 'Don Giovanni' als Totentanz inszeniert." Aha. Schön. Jetzt begreift man's! Danke.

 

Die weissverschleierten Choristinnen, die während der Ouvertüre im Reigen auftreten, stellen in dem Fall, wie auf den anthroposophischen Gemälden, unbekannte Seelen dar. Von einem imperativ ausgestreckten Arm nimmt eine jede die ihr zugedachte weisse Lilie in Empfang, macht damit ein paar Schritte zum nächsten Grabstein und kauert dort hin, bzw. "sinkt entseelt nieder", wie es in den diesbezüglichen wagnerschen Regieanweisungen heisst.

 

Jetzt fahren die Grabsteine simultan in die Luft. Anstelle einer Raketenspur hinterlassen sie rotglühende Schnüre, die miteinander einen Säulenwald bilden. Doch dank der Aufklärung durch den Intendanten wissen wir nachträglich, dass wir das Geschehen falsch gedeutet haben: Gemeint ist nicht, dass die Grabsteine in die Luft fliegen, sondern dass wir, bzw. die Bühne, bzw. der Ort der Handlung ins Totenreich niedergleiten. Darum kommt die Stimme des steinernen Gasts auch aus dem Lautsprecher. Sie symbolisiert das Jenseits im Jenseits.

 

Entsprechend dem Umstand, dass wir vergangenen Personen mit vergangenen Kostümen in einer vergangenen Handlung mit vergangenen Gesangslinien in einem vergangenen musikalischen Stil gegenübersitzen, entscheidet sich Regisseur Kurt Josef Schildknecht für eine vergangene Inszenierungsweise. Sie führt uns, zusammen mit dem Bühnenbild von Heinz Hauser, in den andeutenden Symbolismus der Adenauer-Zeit.

 

Wie damals stampfen die Sänger noch mit dem Fuss auf, wenn sie "no!" singen. Wenn sie sagen: "Er schloss die Tür", strecken sie den Arm aus und imitieren in der Luft die entsprechende Handbewegung. Wenn die bejahrten Choristen, einen Laufschritt andeutend, mit Stangen einen gedachten Wald durchstreifen und Masetto befiehlt: "Sucht da ...", bewegen sie ihr Requisit simultan nach links, nach rechts und nach vorn wie die Sennen am Schwyzer Älplerfest ihre Fahnen. Und immer wieder erstarrt die Bewegung zu sängerfreundlicher, symmetrischer Aufstellung.

 

Günter Rennert (1911-1978), August Everding (1928-1999) und Walter Oberer (1911-2001) haben an diesem vermieften Stil bis zur Erschöpfung festgehalten. In den 1980er Jahren aber traten die jungen Wilden auf und bewiesen, dass Inszenieren mehr ist als Arrangieren. Sie begannen, auf eine provokante und/oder neuartige und/oder erhellende und/oder kritische Aussage hin zu arbeiten. Kurt Josef Schildknecht gehörte damals auch zu ihnen. Unvergesslich sein Grazer "Faust" von 1981. Doch nun begibt er sich mit der "Don Giovanni"-Regie am Ende seiner Karriere künstlerisch und konzeptionell ins Totenreich.

 

Für einmal kann die Musik nicht über den Ärger und die Langeweile hinweghelfen - es sei denn, man befolge Hugues Galls Rezept. Der legendäre Direktor der Pariser Oper sagte: "Wenn Sie die Inszenierung ärgert, schliessen Sie die Augen. Bei mir kommen Sie dann immer noch zu einem erstklassigen Musikgenuss." Das gilt nun, zur Ehrenrettung der Produktion, auch für "Don Giovanni".

 

Die Stärken der musikalischen Interpretation sind gleichmässiger Registerklang, schöne Durchhörbarkeit und untadelige Balance zwischen Bühne und Orchestergraben. Lukas Beikircher und das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck bieten damit eine beeindruckend solide Lesart von Mozarts Meisterpartitur.

 

Der Rhythmus ist stärker betont und das Schlagzeug deutlicher vernehmbar als in der Adenauer-Zeit, ohne so impertinent in den musikalischen Fluss zu schneiden, wie das die historische Schule der achtziger Jahre zu praktizieren liebte. So verwirklicht die musikalische Seite der Aufführung (das ungemein homogene Sängerensemble eingeschlossen) eine intelligente neoklassizistische "Don Giovanni"-Interpretation, der gegenüber das Geschehen auf der Bühne im wahrsten Wortsinn alt aussieht.

Totenstimmung in der Ouvertüre. 

Chor-Gruppierung der Adenauer-Zeit. 

Anthroposophisch weissgewandeter Chor. 

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