Milva Stark steht gelangweilt herum. © Annette Boutellier.

 

 

 

Jemandland. Ivona Brđanović.

Schauspiel.                  

Sophie Aurich, Kim Zumstein, Lea Lustenberger. Konzert Theater Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 16. Mai 2019.

 

 

"So what?" Damit beginnt's. Das wartende Publikum wird auseinandergetrieben, die einen hierhin, die andern dorthin, in verschiedene Nischen. Da steht Salzkonfekt bereit. Man möge sich bedienen. Alles sei bio und vegan. Schauspieler David Berger verzappelt vor Ungeduld. Er sei Unternehmer, behauptet er mit einer Stimme, die sich überschlägt, und quatscht einzelne Zuschauer an: "Wofür brennst du?" Dann zu andern: "Nehmt! Nehmt!"  Man versteht David Berger schlecht. Er spricht zu schnell. Seine Miene ist verzerrt. Das Stakkato der Rede überträgt sich auf die Gebärdensprache. Für einen Unternehmer, schreit Berger, sei Investieren in erster Linie Bauchgefühl, "verstehst du?" Doch was man versteht, ist, dass dieser gehetzte Mann nie vom Wirtschaftsring (WIR) Kredit bekommen würde, geschweige denn von einer Bank. Unglaubwürdig­keit des Spiels, Unglaubwürdigkeit der Situation. Doch der Schauspieler bricht ab. Hinein in die Spielstätte Vidmar 2, hopp, hopp!

 

"So what?" Mit dieser Frage geht es drinnen weiter. Schauspieler Berger hat jetzt eine Partnerin, Milva Stark, und die soll auch im "Leben", das heisst im "Stück", seine Partnerin sein. Im Kontrast zu Berger wird sie von der Regie zu gelangweiltem Herumstehen angehalten. Sie behauptet, sie habe Hunger. Sie wolle jetzt essen gehen. Doch der Mann muss weiterhin den Gockel spielen. Er plustert sich auf vor Gabriel Schneider, der ruhig dastehen muss, weil er einen Bodenleger spielt, der seinen Job machen will und sich deshalb aus dem Paarkonflikt heraushält. Zum Schluss wird noch Luka Dimic eingeführt. Seine Haltung ist festgelegt auf unschlüssiges Stehen. Dimic behauptet, er habe zwei Studiengänge abgebrochen (der eine war Philosophie) und wolle jetzt auf dem Bau schwarz arbeiten. Um das zu illustrieren, wird sein Dialog mit dem Bodenleger als Schattenspiel inszeniert. Und wieder stellt sich die Frage: "So what?"

 

Jetzt hat die Autorin Ivona Brđanović ihr Personal zusammen­gebracht: Drei Männer und eine Frau. Was macht sie damit? Richtig! Die Frau driftet vom alten Partner weg und nähert sich dem hübschen Jungen. Die aufkeimende Liebesbeziehung ereignet sich auf einer Baustelle irgendwo auf dem Balkan, wo sich Aufrichtig­keit und Unaufrichtigkeit seltsam mischen.

 

Vermischt ist indes auch die Erzählweise. Ein bisschen Publikumsansprache, ein bisschen Pantomime, ein bisschen Herumschieben von Kulissenteilen (Bühne Kim Zumstein), ein bisschen Durchbrechen der vierten Wand, ein bisschen Tanz, ein bisschen Gesang, ein bisschen narrativer Monolog, um die Fortsetzung der Geschichte zu erzählen, und ein bisschen Hörspiel: Ein Schuss aus dem Off - der Unternehmer gibt sich die Kugel. Dann überträgt das Baustellenradio, wie die Grenzwache den Schwarzarbeiter erschiesst. Die Frau hat ihn verraten, um das erbeutete Geld und das Leben nicht mit ihm teilen zu müssen.

 

So greift die Aufführung zu allen erdenklichen Mitteln, um Ivona Brđanovićs Geschichte zu erzählen. Die Inkohärenz wurde von Regie (Sophia Aurich) und Dramaturgie (Lea Lustenberger) wohl als postmoderne "Brechung" aufgefasst. Man kann das so sehen. Aber dann bleibt immer noch die Frage offen: "So what?"

 

Gabriel Schneider steht ruhig da. 

David Berger (rechts) muss den Gockel spielen. 

 
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