Das Publikum klatscht, ohne zu ermüden. © Björn Hickmann/stage picture.

 

 

 

Sgt. Pepper's Lonely Hearts Come Back. Ein Beatles-Abend. Markus Heinzelmann/Bo Wiget.

Schauspiel.                  

Markus Heinzelmann/Bo Wiget. Staatstheater Braunschweig.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 13. Mai 2019.

 

 

Volkstümliche Unterhaltung im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig. Die Nachbarin zur Rechten (siebzig) wiegt sich im Takt und singt die Lieder mit. "Sgt. Pepper" war die erste LP, die sie gekauft hat. (Sie sagt: "Ellpii"). Sie habe aber nicht gewusst, dass die Musik so traurig sei. Das sei ihr erst heute Abend aufgegangen. Der Gatte ergänzt, die Beatles hätten sich nach der Platte getrennt. Im Charakter der Musik spüre man das. Gestern habe das Radio darüber eine Sendung gebracht. Dem Nachbarn zur Linken (sechzig) gefällt vor allem der zweite Teil. Da werden einzelne Lieder ganz gespielt (When I'm Sixty-Four). Die Kompositionen, sagt er, seien genial.

 

Am Ende der Premiere klatscht das Publikum, ohne zu ermüden. Vier oder fünf Verbeugungen sind schon gemacht, als die Schauspieler an die Instrumente gehen und wieder anfangen zu spielen. Das Schlagzeugsolo ruft einen neuen Begeisterungs­schwall herauf. Der Applaus will kein Ende nehmen. Auf dem Weg zur Garderobe, zwei Stockwerke tief, dringt das Klatschen immer noch aus dem Saal und begleitet die Frühaufbrecher auf die Strasse hinaus.

 

Die Produktion von Markus Heinzelmann und Bo Wiget hat in Braunschweig verursacht, was die Psychologen eine Fusion nennen: Die Signale des Theaters riefen Erinnerungen wach, die die Seele der Zuschauer überschwemmten, so dass in ihnen Gesehenes und Empfundenes, Objektives und Subjektives, Vergangenes und Gegenwärtiges, Inneres und Äusseres zu einem neuen, rauschhaften Erlebnis zusammenflossen, wie das gerne geschieht, wenn man zu halbvergessenen Orten der Jugend zurück­kommt.

 

"So what?", würde Fabienne Pascaud, die Doyenne der Pariser Kritik, dazu sagen. Und ihr Kollege Jean-Christophe Brianchon würde ausführen, er erwarte von der Bühne mehr - nämlich Fragen, Einsichten, Auseinandersetzungen, Kontroversen. Zelebration ohne doppelten Boden (sans second degré) sei bloss eine Messe, kein Theater, und die Mitwirkenden seien bloss Ausführende, nicht Schauspieler.

 

Vor diesem strengen Blick nützt es nichts, dass der Beatles-Abend hübsch improvisatorisch beginnt, dann ans Clownesk-Surrealistische streift und die musikalischen Motive schräg und witzig herbeizitiert. Die Veranstaltung bleibt gleichwohl in der Sphäre des Illustrativen und Unproblematischen. Darin bewegen sich die Mitglieder des Braunschweiger Schauspiels typenhaft verschwurbelt wie die Inspirations-Kobolde im Hirn der Beatles während der Aufnahmen im Abbey-Road-Studio. Beim Singen zwinkern sie ins Publikum und betätigen, wie an Folkloreabenden üblich, mal humoristisch, mal virtuos verschiedene Instrumente. Für die Ausführenden ein Plausch, für die Fan-Gemeinde ein Genuss. Dass der hohe Kunstanspruch versenkt wurde, was soll's? Man ist in Braunschweig unter sich. Aus Paris fährt da keiner hin.

Man ist in Braunschweig unter sich. 

Aus Paris fährt keiner hin. 

 
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