Hilflos in die Gegenwart verpflanzt. © Anna-Maria Löffelberger.

 

 

 

Manon. Jules Massenet.

Oper.

Adrian Kelly, Christiane Lutz, Julia Müer. Salzburger Landestheater.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2018.

 

 

Wie wäre es wohl herausgekommen, wenn an diesem Sonntag die Studenten ins Salzburger Landestheater gegangen wären? Es laufen ja verschiedene Lehrveranstaltungen an der Uni, die zu Jules Massenets "Manon" gepasst hätten. Zum Beispiel: "Die Vorlesung bietet einen exemplarischen Überblick über die Genres des Musiktheaters: Von der Opera seria über Reformoper, Grand Opéra, Deutsche Oper, Verismo, Zeitoper bis zum Regietheater, populäres Musiktheater von der Ballad opera über opéra comique, Singspiel, Operette, musikalisches Kabarett bis zu Revue und Musical. Besonderes Augenmerk wird auf die Funktionsweise der musikalischen Dramaturgie, das Zusammenwirken der verschiedenen Kunstgattungen (Musik, Tanz, Dichtung, Bühne) sowie auf die ökonomischen und künstlerischen Produktionsstrukturen und deren politische Implikationen gelegt."

 

Und wie erst wäre die Aufführung bei den Studenten der Universität Mozarteum angekommen? Da werden doch, mit den Abschlüssen Bachelor und Master, Fachleute herangebildet fürs Bühnenbild, für den Gesang, fürs Bühnenspiel, für die Regie und für die verschiedenen Instrumente der europäischen Kunstmusik.

 

Doch nun war an diesem Nachmittag das Theater fest in der Hand der Senioren. Die meisten konnten den Weg ans Ufer der Salzach noch selbständig zurücklegen. Ein paar aber waren auf Hilfe angewiesen und kamen mit Rollstuhl oder Rollator daher. Zu dem, was ihnen geboten wurde, nickten die Jahrgänge 1930 und 1940 einmütig, ja verschiedene nickten sogar ein.

 

In der Pause galt ihr Gespräch dem Christkindlmarkt, dem "weltberühmten Christkindlmarkt", wie ihn die "Salzburger Nachrichten" am nächsten Tag nannten. Im Interview auf den Seiten 2 und 3 erklärte Wolfgang Haider, seit 23 Jahren Leiter der Veranstaltung: "Ich schaue mir viele Märkte ganz genau an. Man lernt nie aus. Ich fliege auch in der Früh nach Dresden und Leipzig und wieder retour. Wie wir in Salzburg aufgestellt sind, ist schwer zu toppen."

 

Und jetzt die "Manon" im Landestheater: Ist sie zu toppen? Wie hätten die Studenten auf sie reagiert? Die Absolventen der Gesangsklassen hätten wohl gesagt: "Bei uns lernt man singen, nicht schreien"; sie hätten darauf aufmerksam gemacht, dass dem Tenor in der Höhe die Stimme brach. Besser wäre die Sopranistin weggekommen. Zwar wurden ihre hohen Töne scharf, aber Shelley Jackson bewältigte die Register- und Intensitätswechsel der Partie ganz anständig, ja stellenweise beeindruckend. Und doch war auch sie zu laut.

 

"Die Instrumente sind eben im 20. Jahrhundert allesamt lauter geworden", würden die Studenten der Instrumentalklassen erklären. "Wir sehen das deutlich in den Kursen für Alte Musik." "Gleichwohl",  würde der Lehrer für szenisches Gestalten, Univ.-Prof. Alexander von Pfeil einwenden, "darf ein Dirigent (Adrian Kelly) eine solche Lautstärke nicht zulassen. Ich erinnere mich noch, mit welcher Eindringlichkeit Hans Wallat an der Deutschen Oper das Orchester zum Leisespielen anhielt." Und sein Kollege fürs Dirigieren, Univ.-Prof. Gernot Sahler, würde ergänzen: "Abgesehen davon gibt es in unserem Fach noch die Begriffe Binnendiffe­renzierung und Binnenspannung."

 

Auf dem Hintergrund des Gelernten würden wohl die Studenten der Regieklasse besonders unerbittlich mit der Aufführung ins Gericht gehen: "Es genügt nicht, dass man eine Pferdewechsel­stelle des 18. Jahrhunderts durch eine Flughafenlobby ersetzt. Das ist eine billige Aktualisierung. Denn die Motive der Menschen, ihre Sprache und Handlungen gehören immer noch einer Epoche an, die uns fremd geworden ist. Eine gute Inszenierung (Christiane Lutz) müsste die Lösungen aus einer viel weiteren Dimension herholen, und vor allem: die Sänger weniger schablonenhaft führen."

 

Tja, würde man murmeln. Und was sagt ihr zum Bühnenbild (Julia Müer)? Schulterzucken. "Das ähnliche Problem. Handwerklich ganz okay. Aber die Elemente sind nicht hintergründig genug, nur illustrativ. Damit darf man sich nicht zufriedengeben."

 

Im Salzburger Landestheater wurden indessen solche Gespräche am Sonntagnachmittag  nicht geführt. Die Jungen fehlten. Die Alten waren unter sich. Sie klatschten brav, wie es sich gehört, und sprachen vom Christkindlmarkt.

Die Aktualisierung des Spiels ... 

... widerspricht der geschichtlichen Epoche ... 

... der die Menschen zugehören. 

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