Das faszinierend aufgepeppte ... © Georg Soulek/Burgtheater.

 

 

 

Der Kandidat. Carl Sternheim.

Schauspiel.
Georg Schmiedleitner, Volker Hintermeier. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2018.



Die Geschichte wiederholt sich. 1873 schreibt Gustave Flaubert, um Geldnöte abzuwenden, eine politische Komödie im Vaudeville-Format: "Der Kandidat". Ein vollkommener Durchfall. (Flaubert an George Sand: "un four".) 1913 übersetzt und bearbeitet Carl Sternheim das Stück und verlegt es ins wilhelminische Berlin. Hundert Jahre später überträgt es Florian Hirsch in die österreichische Gegenwart. Und da läuft jetzt die Komödie mit grossem Erfolg. In der Burgtheater­produktion erkennt jeder, wer auf der Bühne gemeint ist. Das macht den Schrecken aus. Bei allem Wechsel von Epoche und Kostüm sind nämlich die Typen des politischen Personals unverändert geblieben. Auch ihre Motive, nach der Macht zu greifen. Und der Wähler schnappt noch immer nach derselben Angel.

Das faszinierend aufgepeppte, variétéhaft glänzende Bühnenbild von Volker Hintermeier blendet für den "Kandidaten" Zirkus und Spielcasino ineinander. Die rotierende Fläche erinnert an Arena und Roulettetisch. Hier bewegen sich die Gestalten in skurrilen Kostümen und mit grotesken, verräterischen Gebärden. Damit wird die Aufführung fürs Auge ein Fressen. Aber auch fürs Ohr. Denn die Musiker Matthias Jakisic und Sam Vahdat ("The Populists") illustrieren und ironisieren die Abläufe auf der Bühne mit sekundengenauen Reaktionen.


Regisseur Georg Schmiedleitner hat auf Feinschliff geachtet. Er wusste: Nur mit der Präzision einer Grande complication wird die Mechanik des politischen Betriebs fürs Theater interessant. Die einzelnen Rädchen (also die Schauspieler) sind überlegt abgestuft, und ihre Bewegungen greifen genau ineinander. Nicht für alle Positionen indes wurde erstklassiges Material verwendet. Offenbar muss das Burgtheater mit seinen Mitteln haushalten.

Erstklassig jedoch ist die Unruh, sprich: der Kandidat. Gregor Bloébs Darstellung beschreibt einen eindrücklichen Bogen. Zuerst erscheint er als Dummchen. Man übersieht, dass er es mit Finanzgeschäften zum Multimilliardär gebracht hat. Es sind indes – wie Geschichte und aktuelle Lage zeigen – auch schon andere Kandidaten unterschätzt worden. Wenn sie dann oben sind, schlägt das hämische Vergnügen über den Tölpel in Entsetzen um.

In der Schlussszene liefert Gregor Bloéb eine Kabinettstudie von Politikerauftritten und -reden, bei der die gebündelte Kraft des Produktionsteams (Licht, Text, Ausstattung, Sprach-, Ausdrucks- und Bewegungsregie) zusammenwirkt, um im Publikum den Impuls: "Nie wieder einen solchen!" wachzurufen. Doch dann tritt der Zuschauer auf die Strasse und realisiert, dass es vielerorts schon zu spät ist. Die Wahlen sind vorbei. Die "Kandidaten" stehen in Amt und Würden, bis zum Ablauf der Legislaturperiode (wenn sie solche noch zulassen). Der neue Burgtheaterchef Martin Kusej wird gut daran tun, die Inszenierung im Spielplan zu behalten.

variétéhaft glänzende ... 

... Bühnenbild mischt ... 

... Zirkus und Casino.

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