Anfangs erscheint Prof. Bernhardi urban, aufgeräumt, jovial. © Sepp Gallauer.

 

 

 

Professor Bernhardi. Arthur Schnitzler.

Schauspiel.
Janusz Kica, Karin Fritz. Theater in der Josefstadt, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2018.

 

 

In "Professor Bernhardi" geht es um die Verheerungen des Antisemitismus. Was dieser Wahn angerichtet hat, zeigt sich bereits in den Sträussel-Sälen, also im Pausenbereich des Theaters. Da sind 28 Schauspielerporträts zusammengebracht worden, und in der Mitte der Galerie steht, eingefasst in einen schweren Goldrahmen: "Wir erinnern an die Vertriebenen der Josefstadt". Auf der Liste finden sich – um nur die wichtigsten zu nennen – Albert und Elise Bassermann, Ernst Deutsch, Egon Friedell, Adrienne Gessner-Lothar, Oscar Homolka, Hans Jaray, Hedy Lamarr, Peter Lorre, Ernst Lothar, Karl Paryla, Otto Preminger, Hortense Raky, Max Reinhardt, Helene Thimig, Franz Werfel, Carl Zuckmayer "und viele mehr". Der Schaden, den der Antisemitismus in der Hitlerzeit angerichtet hat, ist unermesslich. Er kommt - ohne Übertreibung - für Österreich einer Hirnamputation gleich.

 

In "Professor Bernhardi" beleuchtet Arthur Schnitzler das Phänomen des Judenhasses am Einzelfall. Dummheit spielt da mit, und religiöse Verblendung; bei den meisten aber auch Rivalität, kalte Berechnung und Machtstreben. Die Auswirkungen dieser Mischung führt das tragikomische Schauspiel am Beispiel einer fiktiven Privatklinik vor.

 

Die Produktion läuft seit einem Jahr. Premiere war am 16. November 2017. Und immer noch ist das Theater bis zum letzten Platz gefüllt, ohne dass Schulklassen herbeigekarrt werden müssten. In atemloser Stille verfolgt das Publikum, wie sich das wahnhafte Krebsübel weiter und weiter frisst, in die Politik, in die Wissenschaft, in die Bevölkerung. Drei Stunden dauert die Aufführung, und nicht ein Huster ist zu hören. Dafür handeln die Gespräche in der Pause von nichts anderem als vom Stück. Und beim Verlassen des Hauses zeigen die Gesichter der Besucher Ernst, Nachdenklichkeit und Betroffenheit. Damit erreicht das Theater in der Josefstadt, das gern als bürgerlich und zurückgeblieben geschmäht wird, mit "Professor Bernhardi" das höchste Ideal politischer Kunst:

 

"Auf einen chinesischen Teewurzellöwen

 

Die Schlechten fürchten deine Klaue.
Die Guten freuen sich deiner Grazie.
Derlei
Hörte ich gern
Von meinem Vers."

 

Bertolt Brecht

 

Das Stück ist so stark, dass Regisseur Janusz Kica nichts anderes zu machen braucht, als die Gänge zu organisieren. Er macht das mit beachtlicher Subtilität. Denn auf der Bühne sind nur ein paar Stühle und Fauteuils (Karin Fritz). Die Handlung ereignet sich somit in den Körpern und in den Worten. Bernhardi (Herbert Föttinger) erscheint anfangs urban, aufgeräumt, jovial. Dann gibt ihm die Überzeugung Kraft, sich aufzubäumen, und er wird ganz gerade. Doch zum Schluss machen ihn ein ungerechtes Urteil und zwei Monate Haft zum gebeugten Mann.

 

Noch subtiler ist die Führung von Bernhardis Rivalen, Professor Ebenwald. Wenn der angefeindete jüdische Klinikleiter an der entscheidenden Sitzung des Ärztekollegiums den Ausstand nimmt, steht der Nachfolger, wie vom Zufall gelenkt, schon hinter dem freigewordenen Stuhl und kann sich gleich darauf niederlassen, um die Versammlung weiterzuführen.

 

Im Porträt, das Florian Teichtmeister hier liefert, erreicht die Schauspielkunst - - nun, sprechen wir es aus: Genialität. Die Darstellung hat 105.5 Facetten. Sie reicht vom unausgesprochenen Vater-Sohn-Konflikt über den frechen, selbstbewussten Aufstand bis zur heimlichen Freude an der kalten Intrige. Teichtmeisters Gesichtsfarbe wechselt; er erbleicht; die Spannung strafft seine Haut; mit dem Zeigefinger schiebt er die Brille zurecht. Die Sprache seiner Hände macht ihn zum grossen Darsteller.

 

Immer wieder liefert die beklemmende Aufführung neue Glanzpunkte. Durch sie führt die Redlichkeit, mit der Schnitzlers Drama umgesetzt wird, in die Dimension des Gültigen. Da ist die kleine, unbedeutende Rolle der Schwester Ludmilla. Sie tritt nur im ersten Akt auf. Sie hat nur wenige Sätze zu sagen. Aber sie muss Gänge machen, Akten reichen, den Männern zudienen. Bei Schnitzler wird sie zum kleinen Ereignis, das die Tragödie auslöst. Und bei Alma Hasuns exakter Darstellung blickt man zum ersten Mal auf.

 

Als Unterrichtsminister verdiente Bernhard Schir eine eigene Studie. Seine Hände, sein Tonfall und sein Spiel mit den Augen machen die inneren Vorgänge in der Seele eines Opportunisten mit einer Klarheit ablesbar, dass sich Widerwille und Faszination zu einem starken, unvergesslichen Gebräu mischen. Vielleicht wird es fortan Immunreaktionen gegen die Unwahrhaftigkeit von Politikerauftritten auslösen.

 

Mit "Professor Bernhardi" bestätigt das Theater in der Josefstadt seinen Ruf als führende deutsche Sprechbühne. Das Grossfeuilleton sieht's zwar anders und rümpft die Nase. Aber die Theaterleute aus dem Ausland geben es neidlos zu. Und sie setzen das Haus, aus dem Max Reinhardt mit seiner Truppe 1938 vertrieben wurde, heute der Comédie-Française gleich.

Die entscheidende Sitzung des Ärztekollegiums ...

... bringt den Leiter des Privatspitals ... 

... Professor Bernhardi in die Bredouille.

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