Uwe Schönbeck setzt sein gewinnendstes Lächeln auf. © Annette Boutellier.

 

 

 

Im Tingeltangel tut sich was. Fritz Grasshof.

Rezitationsabend.                  

Konzert Theater Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 7. Oktober 2018.

 

 

Es ist das Schlimmstmögliche eingetreten: Georg Kreislers Erben haben Konzert Theater Bern verboten, einen Abend mit den Liedern des Verstorbenen durchzuführen. Sie trauten Uwe Schönbeck, dem lokalen Star, und Hans Christoph Bünger, dem Begleiter, nicht zu, dem Wiener Chansonnier gerecht werden zu können. Und wie sich nachträglich zeigt, lagen sie nicht falsch. Soweit, so schlimm.

 

Nun bringt das Theater eine Ersatzproduktion. Und "Ersatz" ist immer schlimm. Darunter litten schon die Weltkriegsgenera­tionen, die plötzlich Eichelkaffee statt Bohnenkaffee trinken mussten. Zu der Zeit wanderte, wie das grosse etymologische Wörterbuch von Oscar Bloch und Walther von Wartburg nachweist, das Wort in die französische Sprache ein: "ERSATZ, 1915, un objet qui en remplace un autre."

 

In Bern stammt der Eichelkaffee von Fritz Grasshoff, einem sympathischen, aber völlig überschätzten Vaganten-, Säufer- und Seemannsliederdichter. Er hat sein Leben lang nie Bohnenkaffee geliefert. Darum ist er heute, zwanzig Jahre nach seinem Tod, vergessen. Zu Lebzeiten profitierte er in der Bundesrepublik zeitweilig vom Aussenseiterimage des "poète maudit", einer Erscheinung, die Deutschland nie hervorgebracht hat (wenn wir von Heine absehen, der nach Paris emigrieren musste). Damals sollte Grasshoff die fehlenden Dichter in der deutschen Ahnengalerie ersetzen. Aber Ersatz ist immer schlimm.

 

Die Wahrheit dieses Worts belegt nun der Abend in der Mansarde des Stadttheaters Bern mit Uwe Schönbeck, dem lokalen Star, und Hans Christoph Bünger, dem Begleiter, mit gnadenloser Härte. Die beiden Künstler suchen zwar zu retten, was zu retten ist – also den Liederabend, und mit ihm den Spielplan und ihre Gage – aber das trotzige "Jetzt erst recht!" führt sie geradewegs in den Abgrund.

 

Zwei Gründe sind für den Flop ausschlaggebend: (1.) Das Zu-viel-machen, (2.) das Zu-wenig-zahlen. Zum ersten: Uwe Schönbeck heizt seinen Kessel dreissig Prozent über die Höchstmarke (der Zeiger steht schon tief im Roten) und mobilisiert, um die Zuschauer zu gewinnen, sein schönstes Lachen. So dröhnt er den Raum beim Singen und Rezitieren instinktlos voll. Eine Reihe von Freudschen Versprechern (der Meister sagt ihnen: "das Missgeschick der Fehlleistung") verrät, dass dem Künstler "an der richtigen Leistung besonders viel gelegen ist". Weil er sich aber immer wieder verspricht, geht der Inhalt einzelner Verse verloren. Bei Kreisler hätten die Zuschauer wohl das Unverstandene aus der Erinnerung ergänzen können. Aber bei Grasshoff?!

 

Auch Hans Christoph Bünger steht unter Überdruck. Schon beim ersten Lied – einer Eigenkomposition – hetzt er durch die Noten, dass Schönbeck ins Straucheln kommt. Und auf freche Rubati wird man den ganzen Abend lang vergebens warten; der Pianist bleibt dem eingeschlagenen Takt treu.

 

Für den Freudianer ist die unglückliche Premiere ein Fressen. Bünger spielt Schönbeck dadurch an die Wand, dass er beim Betreten der Bühne als erstes den Klavierdeckel aufklappt. Da fragt man sich schon, wie gut sich die beiden verstehen. Gerald Moore, der legendäre Liedbegleiter, überschrieb seine Erinnerungen jedenfalls mit der Frage: "Bin ich zu laut?" Bünger hingegen unterstreicht mit seinem Hämmern: "Ich bin bitte schön auch wer!"

 

Gegen Ende der 65 Minuten rächt sich Schönbeck an seinem Begleiter: Er lässt unauffällig die ihm zugedachte Bierflasche aus fünfzehn Zentimetern Höhe zu Boden fallen. Ab jetzt ist die Falle gerichtet. Bünger braucht bloss noch den Bügel zu öffnen, dann schäumt das Malzgetränk hoch und läuft dem Pianisten sekundenlang über die Finger. Endergebnis des Spiels 1:1.

 

Das Debakel wäre nicht eingetreten, wenn das Theater (zwei­tens) nicht am falschen Ort gespart hätte. Es hat aber darauf verzichtet, Regie und Dramaturgie zu besetzen. So fehlt jetzt den beiden Künstlern jede kritische Begleitung: "Hans Christoph, du bist zu laut!" "Uwe, du machst zu viel!" Und vor allem: "Bevor wir mit den Proben anfangen, müssen wir klären: Wer bist du, Uwe Schönbeck, an diesem Liederabend, und was machst du auf der Bühne?" Wie sich an der Vorstellung zeigt, genügt es nicht, die alten Strippen zu ziehen. Es genügt nicht, dem Affen Zucker zu geben.

 

Das Haus hatte einen Ruf zu bewahren. "Im Tingeltangel" hat es ihn verloren.

 

Der Schauspieler macht sich nicht klein. 

Aber der Pianist lässt sich nicht unterkriegen.

 
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