Das Klima kippt. Die Menschen treiben's bunt. © Reinhard Werner.

 

 

 

Der Rüssel. Wolfgang Bauer.

Eine Tragödie in elf Bildern.                  

Christian Stückl. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 2. Mai 2018.

 

 

Hinter der "Tragödie in elf Bildern", die das Burgtheater dreizehn Jahre nach dem Tod des Autors zur Uraufführung bringt (der 1941 geborene Wolfgang Bauer starb 2005 in Graz), steht eine Grundsituation, die das Alte Testament in folgende Worte gefasst hat: "Da aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit gross war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe."

 

So schickt nun der Herr Blitz und Donner aus dem sternklaren Nachthimmel. Ein Riesenelefant durchstösst die Hauswand des abgefeimten, bauernschlauen Ulpian Tilo und bleibt im Herrgottswinkel stecken, während sich draussen Affenhitze ausbreitet. Die Menschen ziehen ihre steirische Tracht aus und legen sich bunte afrikanische Fetzen zu. Den schwermütigem Almgesang vertauschen sie mit südlichen Rhythmen und heiseren Schreien. Der Grossvater legt die Verlobte des Enkels aufs Kreuz, und sie sträubt sich dagegen nicht allzu heftig. Der Prophet des Elefanten aber, der dessen Ankunft vier Jahre lang beharrlich gepredigt hat, nimmt jetzt das Recht auf absolute Herrschaft in Anspruch, bis der Pfarrer als schwarzer Reaktionär den Elefanten erschiesst und den Propheten ans Kreuz bringt, worauf das Klima zu normalen Temperaturen zurückfindet. Die Menschen jedoch, die von der Geschichte mitgerissen werden, kippen mal auf die eine, mal auf die andere Seite, je nachdem, wo sie den Vorteil sehen. Mit diesem Wankelmut halten sie sich oben. Die Bibel aber fasst das Ganze zusammen in den Worten: "... und sie sündigten in einem fort." Da liegt die Tragödie.

 

Mit dieser Zusammenfassung ist schon angedeutet, worin die Wucht von Wolfgang Bauers Tragödie liegt: In der Kombination von Archaik und Absurdität, Volksstück-Realismus und gottverlas­sener Animalität. Der grosse Volkstheater-Regisseur Christian Stückl bringt den Nagelfluhbrocken mit sicherem Gespür für prägnante Typenhaftigkeit in Gebärde, Haltung und Sprache auf die Bühne und antwortet damit dem Stück, das mit den stärksten Sachen von Arrabal und Ionesco mithalten kann, auf szenisch adäquate Weise.

 

Dazu gehört der stimmige Einsatz der Gesangskapelle Hermann, einem ungemein reinen und wohlklingenden sechsstimmigen Männerchor, und der grossen alten Burgmimen und -komiker Branko Samarovski (78), Barbara Petritsch (73) und Peter Matić (81). Wenn ein Haus solche Kräfte ins Feld führen kann, stellt sich unauslöschliche Abgründigkeit von selber ein. Und damit erfüllt sich, was Elfriede Jelinek übers Stück sagte: "Es ist einfach der blanke Irrsinn." Grossartig.

Faustdick hinter den Ohren: die einfachen Bauersleut'.

Der schwarze Reaktionär bringt das Kreuz zurück.

 
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