Der Sturm. William Shakespeare.
Schauspiel.
Robert Carsen. Comédie-Française, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 18. Mai 2018.
Wie ein Komet tauchte Robert Carsen in den 80er Jahren am Nachthimmel der Opernroutine auf, und mit seinem "Mefistofele", der von Genf an die Met geholt wurde, begann er, alles, was man bisher gekannt hatte, zu überstrahlen durch seine klugen, bildstarken Ausdeutungen der grossen Stoffe. Vor ein paar Wintern inszenierte er in Paris fürs Théâtre du Châtelet das Musical "Singin' in the Rain". Der Erfolg war so gross, dass die Produktion ins Grand Palais übernommen wurde, wo sie in ihrem vierten Jahr Abend für Abend dreitausend Zuschauer erreichte. Die Pariser Kritik suchte und suchte, fand aber keinen Schatten ausser dem, dass die Vorstellung "fast zu perfekt" war, weil man ihr die Schwierigkeiten nicht mehr anmerkte, die zu überwinden waren, um zu solch makelloser Schwerelosigkeit zu gelangen.
Und nun macht der Opernregisseur Robert Carsen zum ersten Mal Schauspiel an der Comédie-Française, "Der Sturm" von Shakespeare, und wieder findet die Kritik nichts auszusetzen. Die Inszenierung ist klar, verständlich, texttreu; ganz okay. Damit Shakespeare seine Wirkung entfaltet, braucht man bei diesem Ensemble nicht mehr zu machen, als die Schauspieler in den Raum zu stellen. Den Rest bringen sie selbst: Figuren, die fasslich sind, glaubhaft, mit Leben gefüllt. Ihr Zusammenspiel weckt Stimmungen, die dem Drama Resonanz geben und den Zuschauer in Bewegung setzen durch Freud' und Schmerz, Angst, Zorn und Erleichterung.
Die Pariser Kritik war indes auch etwas verwundert: Wo bleibt, fragte sie angesichts von so viel Werktreue, der eigene Ansatz? Carsen beschränkte sich darauf, ab und zu Schwarzweiss-Projektionen auf die Stoffbahnen einer hellgrauen Kiste zu werfen. Sie zeigten den Strand mit der Meeresbrandung, Miranda und Ferdinand beim Schachspiel und den Segen der Göttinnen Iris, Ceres und Juno für das junge Paar.
Die Einspielungen, auf die man auch hätte verzichten können, verwiesen rudimenthaft auf die Idee, das ganze Geschehen als Einbildung des abgesetzten und sterbenden Herzogs von Mailand, Prospero, darzustellen. Unter dieser Auffassung ist das Zauber- und Geisterwesen, das Prospero zu Diensten steht, psychoanalytisch gedeutet als Ausdruck jener Grundillusion, die uns, laut Freud, nie verlässt: die Allmacht der Gedanken ("es genügt, dass man etwas fest genug will ...").
Um das zu verdeutlichen, wird dem Drama ein stummes Vorspiel vorangestellt. Es zeigt Prospero ausgestreckt auf einem Bett. Man hört das Piepsen eines medizinischen Überwachungsgeräts. Der Patient schlägt um sich und ruft die Namen von Antonio, Miranda, Gonzalo. Das Piepsen beschleunigt sich. Man sieht, wie in einer Wochenschau, die Bilder des Putschs im herzoglichen Palast und die finsteren Gesichter der Verschworenen. Nachdem sich das Piepsen zum Rattern gesteigert hat, bricht es unversehens ab, und das Spiel beginnt mit Erscheinung der Geister Ariel und Caliban. Man kann dieses Vorzeichen an den Anfang des Geschehens setzen, muss aber nicht. Das Stück funktioniert auch sonst. Shakespeare verlangt nur starke Darsteller. Und die hat die Comédie-Française zuhauf. Was bei Carsens "Sturm" dazukommt, ist überflüssig, das heisst: Minderung statt Steigerung.
Projektionen in einer hellgrauen Kiste ...
... wie die Gesichter der Verschworenen.
Dabei sind die Schauspieler ohne Film stark genug.