Der neue GMD Srba Dinic im Klangfluss von "Istanbul".

 

 

 

Istanbul Symphony. Fazil Say. / Klavierkonzert Nr. 3. Ludwig van Beethoven.

Konzertabend.                  

Srba Dinic. Staatsorchester Braunschweig.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. März 2018.

 

 

In der Braunschweiger Stadthalle hat das Staatsorchester einen zerknautschten Ton, als ob die Saaldecke zu niedrig hinge. Und so ist es auch. Die Saaldecke hängt zu niedrig. Beim dritten Klavierkonzert von Beethoven hat das zur Folge, dass die Töne der linken Hand zu Brei zerschmelzen, während die Töne der rechten immer distinkter herausragen, je höher sie werden. Von Balance kann also keine Rede sein. Auch nicht, möchte ich sagen, bei den Tempi, die Solist Bernd Glemser anschlägt. Das Largo neigt zum Grave, und das Allegro zum Presto. Aber während man sich über Tempofragen noch streiten kann, ist unüberhörbar, dass das Staatsorchester am zweiten Konzertabend häufig nicht zusammen spielt. Die Phrasierungen sind approximativ. Und Reinheit wird man der Intonation nicht nachsagen können. Trotzdem klatscht das Publikum so lange, bis der Solist eine Zugabe gibt. Durch sie sieht sich der Kritiker in seinen Vorbehalten bestätigt, und er wendet jetzt seine Aufmerksamkeit dem zweiten Teil des Konzertabends zu.

 

Das steht Fazil Says Sinfonie Nr. 1 auf dem Programm, ein Auftragswerk des Konzerthauses Dortmund und des WDR. Der 1970 in Ankara geborene Pianist legt da Programmusik in sieben Sätzen vor. Der erste Satz heisst "Nostalgie", der dritte "Sultanahmet Moschee", der vierte "Hübsch gekleidete junge Mädchen auf dem Schiff zu den Princess Inseln" (man denkt unwillkürlich an Eugen Gomringers "Avenidas"), der fünfte Satz "Über den Reisenden auf dem Weg vom Bahnhof Haydarpaşa nach Anatolien".

 

Der Stil bewegt sich durch Hereinnahme exotischer Instrumente wie Nay (einer langen, näselnden Flöte), Kanun (einer Art Zither) und "türkischer ethnischer Perkussion" stellenweise im Bereich von Tschaikowskys "Danses caractéristiques". Dann wieder erinnert die Komposition mit ihrem Fluss an Erich Wolfgang Korngold und durch die Instrumentation und abwärts gleitende Seufzer ans "Prélude à la nuit" von Ravels "Rhapsodie espagnole".

 

Mit dieser Verbindung von westlichen Vorbildern und orientalisch eingewurzelten Rhythmen gibt Fazil Say die Lage Istanbuls wieder, die sich seit der Uraufführung der Sinfonie im Jahr 2010 beklemmend verschärft hat. Wie das Staatstheater Braunschweig meldet, konnte der vorgesehene Dirigent Ibrahim Yazici "aufgrund eines seitens der türkischen Behörden für ungültig erklärten Passes die Türkei aktuell nicht verlassen". Und weil ihm vor einem Jahr – ebenfalls ohne Angabe von Gründen - auch die Leitung der Oper von Izmir entzogen wurde, hat der Musiker faktisch Berufs- und Reiseverbot.

 

Um so verdienstvoller deshalb, dass das Staatsorchester Braunschweig unter seinem neuen GMD Srba Dinic die cineastische Komposition in der Stadthalle zum Klingen bringt. Die niedrige Decke und der zerknautschte Ton haben heute übers puristische L'art-pour-l'art hinaus eine bedrückende politische Dimension angenommen.

 
 
 
 
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