Nerdhafte Avantgarde und grosszügiger Humor: Das Schlagzeugquartett Esegesi.

 

 

 

Mallet-Quartet. Steve Reich.

Schlagzeugabend.                  

Simone Rubino, Schlagzeugqartett Esegesi. Staatstheater Darmstadt.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Februar 2017.

 

 

Das 5. Kammerkonzert ist anspruchsvoll. "Schlagzeug", lautet der Titel. Auf dem Programm stehen Komponisten, die sich nicht gerade durch Volkstümlichkeit auszeichnen: John Cage (1912-1992), Alexej Gerassimez (*1987), Bruce Hamilton (*1966), Iannis Xenakis (1922-2001), Steve Reich (*1936). Und von ihnen, wie auch von Casey Cangelosi, David Lang und Simone Rubino werden nur Schlagzeug-Kompositionen vorgetragen. Trotzdem ist das kleine Haus des Staatstheaters Darmstadt mit seinen 482 Plätzen so gut wie ausverkauft. Der Mythos der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik ist offensichtlich lebendig geblieben. Auch wenn die Mehrzahl der Konzertbesucher eher dem Gründungsjahr der Ferienkurse 1946 entstammt als dem Geburtsjahr der ausführenden Musiker (1993/4), gibt gerade die Aufmerksamkeit und der Respekt, mit dem die ergrauten Häupter die Leistungen der jungen Künstler aufnehmen, dem Abend die höhere Weihe.

 

Das Quartett macht es sich und den Zuhörern nicht leicht. Von sich verlangt es höchste Konzentration, um die intrikaten technischen Herausforderungen zu meistern, die namentlich Cage und Reich den Musikern abverlangen. Und vom Publikum verlangt es Weite des Horizonts und Beweglichkeit des Geistes, um die Unterschiedlichkeit der Kompositionen zu würdigen, die Einblick geben ins Spektrum der Gegenwartsmusik. Gerade mit der Reinheit ihrer Intention aber imponieren die jungen Schlagzeuger den ergrauten Häuptern, die im Leben schon zu manchem Kompromiss gezwungen wurden. Denn hier begegnen sie einem Programm, das durch seine Kompromisslosigkeit besticht. Es ist gestaltet nach der Devise: "Simply the best", und was das Beste ist: Das Programm ist durchzogen von haydnschem Humor.

 

Schon das erste Stück, "Asventuras für kleine Trommel solo (2011)" von Gerassimez führt überlegenen Unernst vor, indem die Klänge nicht nur durchs Schlagen aufs Fell erzeugt werden, sondern auch durchs Schlagen der Stöcke aufeinander und durch Streichen und Wischen mit Pinseln und Fingern. Dazu kommt stupende Virtuosität im An- und Abschwellen der Wirbel, bei denen das Ohr nicht zu glauben vermag, was das Auge meldet: Man meint zwei Spieler zu hören, und gleichwohl ist das Stück ein Solo.

 

Die selbe Mischung von nerdhafter Avantgarde und grosszügigem Humor findet sich auch im letzten Stück, "The Third Construction (1942)" von John Cage. In einer sogenannten "mikro-/makrokosmischen Struktur" kombiniert das Stück 24 Zyklen mit 24 Takten. Diese strenge Ordnung realisiert sich, indem die Musiker auf Konservendosen und Kochtöpfe schlagen, wenn sie nicht Rasseln aus Kieferknochen betätigen oder durch eine Muschel blasen, so dass ein bedrohliches "Muh!" die Perkussion begleitet.

 

Gerne möchte man dem Quartett nach Frankreich nachreisen und sein Konzert dort ein weiteres Mal hören. Es erfüllt nämlich im Bereich der Musik jene Bedingung von Qualität, die Jean Paul für die Literatur postulierte: "... in der Tat ist ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, auch nicht würdig, dass man's einmal lieset."

Verlangt wird Beweglichkeit der Hände und des Geistes.

 
 
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