Durch das Genre der Oper wird die Wirklichkeit reflektiert und ästhetisiert. © Stephan Ernst.

 

 

 

Tosca. Giacomo Puccini.

Oper.                  

Will Humburg, Eva-Maria Höckmayr, Julia Rösler, Johannes Kulz. Staatstheater Darmstadt.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Februar 2017.

 

 

In ihrer Inszenierung erzählt Eva-Maria Höckmayr fünf verschiedene Geschichten. Die vierte und fünfte sind überflüssig. Die ersten drei sind gut.

 

Erzählt wird mit der ersten Geschichte das Melodramma, das die Librettisten Luici Illica und Giuseppe Giacosa aus dem Schauspiel von Victorien Sardou gewonnen haben. Seit ihrer Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Constanzi Rom hat sich die "Tosca" auf alle Bühnen der Welt eingeschrieben, sie gehört zum immateriellen Kulturerbe des Operntheaters.

 

Die zweite Geschichte handelt davon, wie das Genre der Oper die Wirklichkeit reflektiert und ästhetisiert. Dafür spielt die Inszenierung mit Verdoppelung, Spiegelung und Auflösung der Bühnenbildfragmente durch Video (Julia Rösler und Johannes Kulz). In der dritten Geschichte wird Tosca nach ihrem Tod auf die Erde zurückgeschickt. Die blutige Wunde, die sie sich mit ihrem Sturz von der Engelsburg zuzog, klebt ihr den ganzen Abend an Gesicht und Hals.

 

Jetzt erlebt sie die ganze Handlung als Betrachterin. Sie steht in allen Szenen auf der Bühne. Die Zusammenhänge gehen ihr auf. Die eifersüchtige, narzisstische, impulsive Diva wird zur nachdenklich horchenden, betroffenen Frau. So schenkt ihr die Regie in der dritten Geschichte Einsicht und Läuterung. Was sie in der Oper von 1900 nicht erreichte, erreicht sie jetzt in der Oper von 2017.

 

Damit wächst dem Werk wie der Figur von Tosca eine eindrucksvolle menschliche Dimension zu, indem die Motive, mit denen Puccini sonst die Handlung unterstützte, jetzt auch das innere Leben der wiederkehrenden Tosca ausdrücken. Ein interessanter Gedanke. Er bringt spannende Mehrdeutigkeit ins musikalische Geschehen.

 

Die vierte Geschichte bringt Engel ins Spiel. Der Hirtenjunge, der frühmorgens seine Lämmer weidet, trägt Lederhose und Engelsflügel. Auch der Leiter des Exekutionskommandos erscheint als Theaterengel mit goldenem Brustpanzer. Wir befinden uns ja auf der Engelsburg. So ermöglicht die vierte Geschichte Assoziationen an Unschuld, Gericht, Jenseits und Erlösung. Aber wozu diese Geschichte erzählt wird, lässt sich auch durch die Diskussion mit zwei hellen, theatererfahrenen Köpfen nicht erschliessen. Vielleicht soll durch die Flügel der infantile Glaube ans rettende Eingreifen einer höheren Macht denunziert werden. Oder die Inszenierung folgt bloss einer Mode. Ebensolche pittoreske Flügel kommen zur Zeit auch im Saarbrücker "Freischütz" und im Salzburger "Orfeo" zum Einsatz.

 

Die fünfte Geschichte führt zum Schluss der Oper noch Rom-Touristen auf die Bühne. Die Statisten sind angehalten, so zu spielen, als würden sie eine Selbstmörderin auf der Zinne erblicken, die sich am hellen Tag aufs Pflaster hinunterwirft. Offenbar schien es der Regisseurin attraktiv, die Geschichte mit der Gegenwart und das Spiel mit der Wirklichkeit zu verlinken. Aber zur Deutung trägt der Einfall nichts bei, das Theater könnte sich die Statistengagen sparen.

 

Begleitet wird die teils inspirierte, teils überkandidelte Inszenierung vom tadellos aufspielenden Staatsorchester Darmstadt, das die Partitur unter seinem Generalmusikdirektor Will Humburg wach, federnd und engagiert zum Klingen bringt. Musikalisch ist die Darmstädter "Tosca" aus einem Guss. Und zusammen mit einer guten Sopranistin (Izabela Matula) und einem sehr guten Tenor (Mickael Spadaccini) schaffen alle Beteiligten eine respektgebietende Aufführung.

Das Video ermöglicht Verdoppelung, Spiegelung und Auflösung der Bühnenbildfragmente. 

Erzählt wird auf der ersten Ebene das Melodramma von Luici Illica und Giuseppe Giacosa.

Dann wird die eigensüchtige Diva zur nachdenklich horchenden, betroffenen Frau.

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