Wie weit einer kommt, wenn er eine entschlossene Bande versammeln kann. © Servus TV.

 

 

 

Die Räuber. Friedrich Schiller.

Schauspiel.                  

Matthias Hartmann und Michael Schachermaier. Salzburger Landestheater und Servus TV im Volkstheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 28. Oktober 2016.

 

 

Sigmund Freud schrieb "Das Unbehagen in der Kultur" im Alter von 74 Jahren, als er schon schwer vom Krebsleiden gezeichnet war. Er kam da zur Feststellung: "Die Absicht, dass der Mensch 'glücklich' sei, ist im Plan der 'Schöpfung' nicht enthalten." Gleichwohl gab es für den Vater der Psychoanalyse einen Weg, das Unglück zu bewältigen, "wenn man den Lustgewinn aus den Quellen psychischer und intellektueller Arbeit genügend zu erhöhen versteht". Sigmund Freud empfahl gegenüber dem Schicksal die "Sublimierung der Triebe". Die Wirkung zeige sich in der "Freude des Künstlers am Schaffen" oder in der Freude "des Forschers an der Lösung von Problemen und am Erkennen der Wahrheit." Diese Freuden hätten "eine besondere Qualität". Worin? Die Last der Wirklichkeit nimmt ab. "Das Schicksal kann einem dann wenig anhaben."

 

Was das Rezept taugt, hat Matthias Hartmann am eigenen Leib erfahren. 2014 wurde er als Leiter des Burgtheaters fristlos entlassen. Über mehrere Jahre hatte die kaufmännische Direktorin illegal Geld aus der Kasse gehoben. Der Kulturminister warf Hartmann vor, das nicht gemerkt zu haben. Der Angeschuldigte entgegnete, dafür gebe es eine Finanzaufsicht. - In der Sache hatte er recht. Gerichtlich blieb er bis zur Stunde unbelangt. Aber entlassen ist er trotzdem. Obwohl man ihn 2006 unter Hosiannagesängen vom Schauspielhaus Zürich an die Burg berufen hatte. Und obwohl er danach dem Haus am Ring Auslastungszahlen beschert hatte, die keiner seiner Vorgänger je erreicht hatte.

 

Seit seiner Entlassung hat Matthias Hartmann nur noch eine einzige Inszenierung machen können, in der letzten Spielzeit von Wilfried Schulz am Staatsschauspiel Dresden. Sonst aber blieb er geächtet und gemieden. Das internationale Feuilleton sprach die Schadenfreude der Gegner offen aus: "Er hatte eine zu grosse Klappe", lautet der Tenor. "Selber schuld."

 

Der Mann, der Hartmann nun die Chance für ein Comeback bot, gehört nicht zur Welt des Theaters, sondern zur Welt der Limonade und des Sports: Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz, Besitzer des Medienunternehmens Servus TV. Für dessen Sender durfte Hartmann ein Projekt verwirklichen und wählte dafür "Die Räuber" von Friedrich Schiller. Also jenen genialen Erstling, in dem der schöne, erfolgreiche Sohn des Hauses vom verschlagenen, neidischen Bruder wegintrigiert wird. Karl Moors Gerechtigkeitsempfinden ist zutiefst verletzt. Er flüchtet mit seinen Freunden in die böhmischen Wälder und überzieht von dort aus die Welt mit Mord und Raub.

 

Matthias Hartmann demgegenüber emigrierte nach Salzburg, sammelte Mitstreiter um sich und überzog von dort aus die deutschsprachige Theaterwelt mit Mord und Raub in einer Inszenierung, die alle seine Feinde und Neider zu Boden wirft, während seine Freunde jubeln: "Er ist noch besser, als wir dachten!" So funktioniert Sublimation.

 

Hartmanns "Räuber"-Aufführung besteht aus einer Mischung von Theater und Film. Auf der Bühne stellen die Schauspieler die Handlung nach. Gleichzeitig erscheint als Film auf der Leinwand das Resultat der Abmischung von Text, Spiel, Übertragung und Verschnitt von vorgefertigten Bild- und Tonelementen. Für diese technische Parforceleistung liess sich Michael Schachermaier als Co-Regisseur gewinnen.

 

Separat genommen sind das Theater und der Film unspektakulär. Als Bühnengeschehen nämlich sind Hartmanns "Räuber" grotesk überwürzt. Und als Actionfilm sind sie zu wortlastig und zu konventionell. Zusammen aber, in der packenden Unmittelbarkeit der Gegenwart, die das Wesen des Theaters (ich hätte beinahe gesagt: im dreifachen hegelschen Sinn) auf eine höhere Ebene hebt (nämlich optisch, technisch und konzeptionell), entfaltet die Aufführung eine Wucht und Eindringlichkeit, wie man sie seit der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim 1782 wohl kaum mehr erlebt hat. So kam es, dass während der ganzen ein-dreiviertelstündigen Aufführung im vollbesetzten Volkstheater niemand zu husten wagte. Dabei war fast die Hälfte des Publikums zwischen fünfzehn und zwanzig. Die jungen Leute aber verliessen das Haus am Ende als überzeugte Freunde von Friedrich. Wahrhaftig, die Mathematik hat recht: Minus mal minus gibt plus.

 

Einziger Wermutstropfen: Ein Viertel des Texts – des Schillerschen Texts! – wurde von den jungen Darstellern, wie so häufig beim Einsatz von Microports, weggenuschelt, darunter auch der berühmte Schluss: "Ich erinnere mich, einen armen Schelm gesprochen zu haben, als ich herüberkam, der im Taglohn arbeitet und eilf lebende Kinder hat – Man hat tausend Louisdore geboten, wer den grossen Räuber lebendig liefert – dem Mann kann geholfen werden." Hartmann wollte die Stelle nicht pathetisch haben. Nun lief sie ins Off.

 

Gleichwohl war das Publikum hingerissen vom Spiel. Vom Spiel der Darsteller zunächst. (Hartmann hatte schon immer ein Flair für Besetzung und überzeugende Figurenzeichnung.) Dann vom kühnen Mix von coolen Gegenwartsattitüden und vorklassischer Leidenschaft, Cyberironie und Humanitätspathos. Und schliesslich vom choreographisch perfekten Zusammenspiel von Menschen, Kameras, Requisiten, Ton- und Bildmaschinen. Diese Kombination bewirkte, dass Schillers heisser Atem die Zuschauer anwehte und sie hineinzog in den Kampf des Guten mit dem Bösen, des Edlen mit dem Niederträchtigen. So zeigten "Die Räuber", wie weit einer kommt, wenn er eine entschlossene Bande versammeln kann, die ihrem Hartmann folgt durch dick und dünn bis zum Sieg.

Als Theater überwürzt. 

Als Film konventionell. 

Im Ergebnis mitreissend. 

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