Der Drache. Jewgenij Schwarz.

Schauspiel.                  

Benno Besson. Comédie de Genève.

Radio DRS-2, Reflexe, und Sender Freies Berlin, 23. Oktober 1985.

 

 

Nach der ersten Vorstellung, 1944 in Moskau, wurde das Stück abgesetzt und verboten. Darauf blieb es zwanzig Jahre lang ungespielt und unpubliziert. Denn das Märchen für Erwachsene verriet Wahrheiten, die niemand in der Sowjetunion aussprechen durfte. Auch nicht im Märchen. Dabei hatte Jewgenij Schwarz, der Autor, mit Billigung des Staates angefangen, das Stück zu schreiben. Im bösen Drachen sollten Faschismus und Nationalsozialismus angeprangert werden. Aber als das Stück fertig war, zeigte sich zum Erstaunen aller, dass es in seiner naiven Unschuld auch den Stalinismus denunzierte. Und das ging nicht an. Der Drache im Stück ist eben nicht nur ein feuerspeiendes Ungeheuer mit drei Köpfen, wie da, wo er aufsteigt zum Kampf gegen Lanzelot.

 

(Ton)

 

Sondern der Drache fährt auch nieder und erscheint als netter älterer Herr im Kostüm des Gentlemans.

 

(Ton)

 

Dann wiederum zeigt er sich als Staatsmann, oder er gibt sich als alter, hilfloser Greis, der unverständliche Worte vor sich hinsabbert.

 

(Ton)

 

Der dreiköpfige Drache im Märchen von Jewgenij Schwarz hat also drei verschiedene Erscheinungsweisen. Drei und doch eine. Mal so, mal anders. Mal hier, mal da ist der Drache die personifizierte Unterdrückung, die als Unterdrückung immer dieselbe ist, unabhängig davon, wie sie sich nennt und in welchem Gewand sie auftritt.

 

Dem Märchen von Jewgenij Schwarz fehlt damit der verlangte Optimismus; und ohne rechte Hoffnung hat es nun auch Benno Besson in Genf inszeniert, mit allem Klamauk und allen Gags, die Auge und Ohr entzücken; Benno Besson, der nach jahrelanger wichtiger Theaterarbeit in der DDR unter Druck geriet und das Land verlassen musste.

 

Sein Held Lanzelot, der aus Liebe zur schönen, aber bedrohten Jungfrau den Drachen zum Kampf herausfordert, ist ein netter, sympathischer Bursche, bescheiden und unfähig zur Verstellung. In Gebaren und Kostüm gleicht er mehr einem Landstreicher aus "Warten auf Godot" als etwa einem siegesgewissen Operntenor.

 

(Ton)

 

Er ist stark und impulsiv. Er hat die Kraft, einen Drachen zu töten. Aber er ist leider auch naiv und unfähig, die Menschen zu ändern, deren Unterwürfigkeit, deren Mangel an Solidarität die Unterdrückung erst möglich macht. – Die Inszenierung zeigt also, dass ein Held nichts mehr ausrichtet, wenn sich die Seelen der Menschen mit dem System der Gewalt arrangiert haben.

 

(Wort)

 

"Ich wusste, dass Lanzelots Tod umsonst sei. Er hat den Drachen getötet, und es ist schlimmer als vorher. Der Drache hatte drei Köpfe, jetzt hat er hundert, hunderttausende, alle menschlicher als die anderen. Aber warum kann man eure wahren Köpfe nicht sehen, eure Tigerköpfe, eure Geier- und Schlangenköpfe mit steinernen Herzen?"

 

Dieser, wenn wir wollen: politische Kern von Stück und Inszenierung ist eingebettet in schmackhaftes, vollsaftiges, komödiantisches Fruchtfleisch, das einzuschlürfen Spass macht. Die ganze Aufführung wirkt so leicht und geschwind, dass man beinah vergisst, dass da gearbeitet worden ist. Und zwar mit der Feile. Bis jeder Schauspieler das Typenhafte in seiner Rolle begreifen und darstellen konnte. Und so gab es in Genf, bis in die stummen Rollen, eine Präzision von Körperhaltung und Spiel zu sehen, von der man bei uns in der deutschen Schweiz nur träumen kann.

 

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