's Loch im Chopf. Wolfgang Deichsel nach Motiven von Eugène Labiche.

Komödie.                  

Hans Schatzmann, Michaela Mayer. Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 5. Januar 1979.

 

 

Lauter Schalen und kein Kern

 

Dass Hans Schatzmann über unleugbares komisches Talent verfügt, hat er als Schauspieler bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Noch vor ein paar Wochen sah man ihn beispielsweise als "gemeinen Mann" in Robert Bolts Schauspiel "Thomas More". Hier verstand er es, mit kleinstem Aufwand das komische Gegengewicht zum tragischen Grundcharakter der Handlung herzustellen. Ein Schnauben durch die Nase, ein Augenzwinkern, ein schmollender Zug um den Mund genügten, um im ernsthaften Schauspieler einen Schimmer von Spielfreude durchbrechen zu lassen, der alles Tragische relativierte. Durch die Rollen, die Schatzmann damals verkörperte, ging ein gemeinsamer Zug: Sie waren allesamt leicht überzeichnet, und deshalb konnte man sie nicht ganz ernst nehmen. Mit andern Worten: Schatzmanns Komik entspringt seinem Talent zur Karikatur.

 

Nun hat sich das Städtebundtheater für seine Neujahrsproduktion Schatzmanns Talent gesichert, um "s Loch im Chopf" herauszubringen, eine Komödie von Wolfgang Deichsel "nach Motiven von Eugène Labiche", ins Schweizerdeutsche übersetzt von René Scheibli. Aber trotz aller guten Voraussetzungen war der Spass nicht halb so gross wie erwartet. Und das gilt es zu untersuchen. Denn auf den ersten Blick scheint das Stück einiges herzugeben. Da geistert eine heiratsfähige Tochter durchs Haus, deren volle Hingabe der Perfektion von Sprengelatine und Fleckenwasser gilt. Da kanzelt nicht der Herr seinen Diener, sondern der Diener seinen Herrn ab wie einen Schulbuben. Der Neffe poussiert mit der Tante, aber nicht etwa, um an die Alte heranzukommen, sondern um sich die Tochter zu angeln. Der wohlbetuchte Familienvater schliesslich, Direktor und reputierlicher Bürger, verbringt die Nacht mit einem ehemaligen Studienkollegen im gleichen Bett... Das Stück zeichnet sich also durch eine Fülle schiefer Situationen aus. Aber, genau besehen, darin erschöpft es sich auch.

 

Denn im Gegensatz zu Eugène Labiche, von dem er die Einfälle herholte, geht es Wolfgang Deichsel nicht darum, in genauester Kleinarbeit einen kunstvollen dramatischen Knoten zu schürzen, der sich am Ende mit einem Zug zur Wonne aller auflöst. Sondern Deichsel geht es um die Blossstellung der Bourgeoisie in ihrer Jämmerlichkeit, Feigheit und Verlogenheit. Das aber hat zur Folge, dass er die Handlung mit weit weniger Sorgfalt führt als der geniale Franzose. Dass sie nicht mehr restlos aufgeht, ist eines; dass es ihr an Tempo, Schwung und Abwechlsungsreichtum gebricht, ein anderes. Was bleibt, sind, wie gesagt, die schiefen Situationen.

 

Dafür hat Michaela Mayer ein zauberhaftes Bühnenbild bereitgestellt: einen grossbürgerlichen Salon nämlich, mit echtem Zimmerspringbrunnen, Grünzeug, Alkoven, Teppichen noch und noch; Decken und Tapeten sind versehen mit wunderbar bizarren Ornamenten. So macht das Ganze eine längst vergangene Plüschherrlichkeit lebendig, in deren Mitte – sozusagen als Symbole jener Welt – ein ausgestopfter gehörnter Bock und das Rad eines Pfaus prangen.

 

In diesem Rahmen werden die Schauspieler von Schatzmann zu jener präzisen Überzeichnung angehalten, die er selbst als Darsteller meisterhaft versteht. Dabei gelingt es Günter Rainer, Verena Leimbacher und  - über weite Strecken – Claudia Federspiel, seinen Intentionen überzeugend zu folgen. Alle drei zeigen Kabinettstücke exakter Bizarrerie und kontrollierter Übertreibung. Neben solcher Perfektion fielen Raoul Serda und Hans-Heinrich Rüegg etwas ab. Ihre Darstellung wies nicht immer die nötige Härte auf, da war zuviel Gemüt und Alltäglichkeit, aber zu wenig Präzision drin. Herbert Boss hielt den Ton durch, schien jedoch zu jung für die Rolle, so dass ein Anflug von Hölzernheit in keinem Moment seines Spiels zu übersehen war.

 

Aber, Kleinigkeiten abgerechnet, wirkte die Aufführung wie aus einem Guss: mit einem Bühnenbild, das die Skurrilität optisch vorführte, einem Stück, das aus lauter schiefen Situationen bestand, einem Regisseur, dem ein Gag nach dem andern einfiel, und schliesslich Schauspielern, die wie lebendige Karikaturen daherkamen.

 

Doch man hätte Schatzmann ein nahrhafteres, farbigeres, kontrastreicheres Stück gegönnt. Denn beim "Loch im Chopf" wurde die Einseitigkeit zum Verhängnis. Es gab zuviel des Guten. Das Komische aber verträgt Einseitigkeit nicht. Es ist auf Gegengewichte angewiesen. Sonst wirkt es überdreht, und das heisst, geradeheraus gesagt, blöd. Blöd ist, mit andern Worten, eine Komik, die aus lauter Effekten besteht; aus Wirkungen also, die keine Ursache haben. Damit aber werden Zuschauer und Künstler unter den Zwang gesetzt, etwas lustig zu finden, zu dem sie keine innere Beziehung herstellen können. Wie heisst es in "Peer Gynt"? Lauter Schalen und kein Kern...

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