Carneval in Venedig. Carlo Goldoni.

Komödie.                  

Dieter Stürmer, Klaus Sonnenburg, Florica Malureanu. Stadttheater Bern.

Der Bund, 15. Mai 1979.

 

 

Karikaturen von Karikaturen

Goldonis "Carneval in Venedig" als schweizerische Erstaufführung

 

Wenn es stimmt, dass das Wichtigste am Theater die Schauspieler sind, dann waren alle Voraussetzungen zu einem Erfolg gegeben. Die Verwandlungskunst nämlich, die vom Ensemble verlangt wurde, war hundertprozentig. Die Männer spielten die Frauen, und die Frauen spielten die Männer. Keine Spur von Naturalismus also. Was man sah, waren scharf gezeichnete und konsequent durchgehaltene Karikaturen.

 

Oder, genauer gesagt, Karikaturen von Karikaturen. Denn noch immer ruht die Handlung in Goldonis "Carneval in Venedig" ganz auf den Typen der Commedia dell'Arte, und von ihnen her ergeben sich alle Verwicklungen und komischen Situationen. Ob sich die Liebenden kriegen werden, ja, ob und wie sie sich lieben, steht ausser Frage. Was zählt, ist allein, wie die Schauspieler die kräftig umrissenen Gestalten ausfüllen.

 

Die komische Alte etwa, längst verblüht und in die Breite gegangen, aber noch immer mannstoll und jungfräulich – dieser wichtigen Stütze der Komödie gab Wolfgang Hiller die nötige Verschrobenheit. Und mehr als das: durch die Art, wie er als altes Mädchen dahertrippelte und mit leicht quäkender Stimme Verliebtheit ausdrückte, erhielt seine Darstellung auch feinere Nuancen und spielte für Augenblicke sogar ins Rührende hinein.

 

Oder die durchtriebene und vergnügungssüchtige Tochter des Hauses, die am Schluss doch in den Netzen der Liebe zappelt – bei ihr nahm Alexander Duda die Möglichkeit wahr, die starre Figur behutsam zu entwickeln und gegen das Menschliche hin zu führen. Mit umso kräftigeren Farben malten Günter Gube und Hans-Joachim Frick das tölpische Gespann einer feldweibelhaften Matrone mit ihrem verzogenen Backfisch aus.

 

Und bei all diesen Darstellungen und Kabinettstücken präziser Überzeichnung, die mit den Namen von Klaus Degenhart, Elsbeth Gmür, Klaus Hirche, Christa Pillmann, Klaus Seidel, Marina Steinmann und Herta Veuhoff verbunden waren, zeigte sich auch, welch entscheidenden Anteil am Gelingen Ruth Addicks und Willy Wachter als Maskenbildner hatten; sie holten aus den Gesichtern nicht bloss die Züge des anderen Geschlechts heraus, sondern verstanden es auch, aus der Komödie eine karikaturistische Porträtsammlung zu machen.

 

Wenn es zutrifft, dass der Theatergenuss zu einem wesentlichen Teil von der Augenlust genährt wird, dann waren alle Voraussetzungen für einen Erfolg gegeben. Denn der Rahmen für dieses Karnevalstreiben liess sich poetischer und zauberhafter kaum denken. Da standen weisse Harlekine in tänzerisch erstarrter Pose vor einem Bild aus leuchtend meergrünen Farben, oder eine riesenhafte Spiegelfläche warf das farblich zart abgestufte Kaffeehausbild in die Weite des Raums. Unzweifelhaft, die Bühnenbilder und Kostüme, die Florica Malureanu bereitgestellt hatte, waren von hohem Reiz. Und doch, was optisch so schön zusammenpasste, stand in keinem Verhältnis zur übrigen Aufführung. Der poetische Zauber des Bühnenbilds nämlich widersprach der konkreten Derbheit von Goldonis Komödie. Die eine Hand nahm, was die andere gab.

 

Und damit ist vielleicht ein Ansatz zur Erklärung gegeben, warum die Aufführung trotz bester Voraussetzungen künstlerisch so wenig befriedigte: das Ganze stimmte nicht zusammen. Das lag nicht bloss daran, dass das orts- und zeitlose Bühnenbild die orts- und zeitbezogene Handlung wieder aufhob, und dass die von Klaus Sonnenburg ausgewählte Musik aus Schlager und Operette stammte und im Durchschnitt hundertfünfzig Jahre nach Goldonis Komödie komponiert worden war. Es lag auch nicht an der Übersetzung allein, die den Text für mein Empfinden allzu sehr in ein bundesdeutsches Phantasievenedig hinübertransportierte. Sondern das Versagen dürfte wohl in erster Linie Dieter Stürmer als Regisseur anzulasten sein. Wobei der Fairness halber gleich festzuhalten ist, dass er drei Tage vor Probenbeginn für den plötzlich erkrankten Kollegen Vlad Mugur einspringen musste.

 

Schwache Texte brauchen starke Regisseure, hat Fritz Kortner seinerzeit gesagt. Und "Carneval in Venedig" (oder "Le Donne di buon umore") ist ein schwacher Text, oder vorsichtiger ausgedrückt, ein Text, der all das noch nicht liefert, was wir Heutigen vom Theater erwarten. Noch fehlt dem Autor jedes psychologische Interesse; die Figuren haben kein Innenleben, sondern bewegen sich wie starr determinierte Puppen. Und die Handlung zielt nicht auf dramatische Spannung hin, sondern dient bloss dazu, den Schauspielern Gelegenheit zur Entfaltung ihres Könnens zu geben.

 

Das aber genügt heutigen Ansprüchen nicht. Sondern die Leere, die da klafft, verlangt aufgefüllt zu werden durch eine Idee, die das Ganze zusammenhält und die plausibel macht, warum man es heute noch spielt. Diese Idee, tragfähig für einen ganzen Abend, ist Dieter Stürmer nicht eingefallen. So blieb es beim Eklektizismus, oder, zu deutsch, beim Mangel, garniert mit wechselnden Einfällen.

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