Advokat Patelin. Molière.

Posse.

Rudolf Kautek. Städtebundtheater Biel–Solothurn

Bieler Tagblatt, 10. August 1979.

 

 

Eine "ganz vortreffliche" Aufführung

Rudolf Kautek inszenierte die Posse "Advokat Patelin" als Sommerfreilichtspiel auf der Terrasse vor der Stadtkirche

 

Im 14. Stück der "Hamburgischen Dramaturgie" vermerkte Gotthold Ephraim Lessing über den Abend des 11. Mai 1767: "Hr. Ekhof spielte den Patelin ganz vortrefflich". Konrad Ekhof, von dem die Rede ist, war damals einer der grössten Schauspieler Deutschlands. Das Urteil mithin spricht etwas Selbstverständliches aus.

 

Aber braucht es denn eine längere Begründung, wenn ich heute, im Jahr 1979, festhalte: "Hr. Rainer spielte den Patelin ganz vortrefflich"? Denn Günter Rainer ist ja einer der besten Schauspieler des Städtebundtheaters. Seit er im Ensemble ist, fällt er durch die Vielseitigkeit seines Talents auf. Mit gleich hohem Einsatz spielt er sowohl Haupt- als auch Nebenrollen. Er spielt Molières Georges Dandin schnörkellos, menschlich und rührend, und er spricht die paar Sätze, die er als Sekretär in "Maria Stuart" zu sagen hat, mit derartiger Präsenz und Präzision, dass sein Auftritt haften bleibt. Rainer ist ein Schauspieler, der von Mal zu Mal weiterkommt.

 

Das liegt nicht bloss daran, dass er Talent hat und es zu nutzen versteht, indem er an sich arbeitet und feilt. Sondern er bringt auch ein elementares Erfordernis der Schauspielkunst mit: Die Freude am Spiel. Und dazu versteht er es, diese Spielfreude aufs Publikum zu übertragen. Aus diesem Grund gelang ihm auch der Advokat Patelin "ganz vortrefflich". Denn hier gehört die Kunst, etwas vorzustellen, mit sich und den andern zu spielen, zu den Erfordernissen der Rolle. Und so kann Rainer aus dem Vollen schöpfen, wenn er dem Tuchhändler in brillanter Verstellung den unerschwinglich teuren Stoff abluchst und wenn er den Richter und den Kläger im Prozess um die verschwundenen Schafe mit einem fulminanten Plädoyer einseift.

 

Und doch, der Spass wäre nur halb gelungen, wenn nicht die gesamte Aufführung "ganz vortrefflich" gewesen wäre. Nun aber standen dem Wiener Regisseur Rudolf Kautek Mitspieler zur Verfügung, die über echtes komödiantisches Talent gebieten, allen voran Hans Schatzmann.

 

Dieser Schauspieler, der so grosses Gespür fürs Skurrile mitbringt, übertraf hier noch seine bisherigen Auftritte. Alles, was für die Darstellung eines Tuchhändlers nötig war, wusste er mit seinem Mienen- und Gebärdenspiel auszudrücken: Habgier und berechnenden Instinkt, Verschlagenheit und Beschränktheit, Rechthaberei und ungläubiges Staunen. Die flinken Bewegungen, mit denen er das Tuch ausbreitete, der devote Buckel, den er vor dem Käufer machte, die Gier, mit der er an sein Geld kommen wollte – das alles ergab ein Bild des Händlers von grosser Überzeugungskraft.

 

Doch ungeachtet dieser Leistungen: Ins Herz des Publikums stahl sich Beat Albrecht als einfacher, blöder Schäfer. Zu sagen hatte er nicht viel. Aber das herzinnigliche "Mäh", das Patelin seinen Lippen zu entlocken wusste, hatte sichere komische Wirkung. Und was er sprachlich nicht ausdrücken durfte, spielte sich dafür umso lebendiger im Gesicht des Schafhirten ab. Aus ihm konnte der Zuschauer lesen, dass dieser Mann vielleicht doch nicht so einfältig war, wie er schien, und dadurch wirkte die kräftige Schlusspointe glaubwürdig.

 

Mit solchen Mitwirkenden – die von Eleonore Bürcher und Raoul Serda unterstützt wurden – ist der Erfolg bereits gesichert: Und doch ist das Verdienst Rudolf Kauteks als Regisseur nicht unmassgeblich. Er verstand es, das Stück in einem flüssigen und doch nie überdrehten Tempo ablaufen zu lassen, er achtete auf präzises Spiel der Darsteller, und er wusste bei den Einfällen der Plumpheit auszuweichen und eine Art Eleganz durchzuhalten.

 

Und schliesslich beruht der gelungene Abend auf einem erfolgssicheren Stück, an dem sogar Lessing nichts auszusetzen fand. Er schrieb, vor 212 Jahren: "Der Advokat Patelin' ist eigentlich ein altes Possenspiel aus dem fünfzehnten Jahrhundert, das zu seiner Zeit ausserordentlichen Beifall fand. Es verdiente ihn auch wegen der ungemeinen Lustigkeit und des guten Komischen, das aus der Handlung selbst und aus der Situation der Personen entspringet und nicht auf blossen Einfällen beruhet."

 

So bietet das Sommerspiel des Städtebundtheaters eine jener seltenen Aufführungen leichter Unterhaltung, deren Besuch man hinterher nicht bereut. Während der Vorstellung ist man mit Schauen und Hören vollauf beschäftigt, und über den Abend hinaus hält die Erinnerung an wohlgelungene Schauspielerleistungen an.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt 0