Rezitationsabend von Alf Beinell.

Théâtre de Poche, Biel.

Bieler Tagblatt, 26. Januar 1980.

 

 

Technik statt "live"

Kürzlich rezitierte Alf Beinell an einem vom Sprach- und Theaterverein organisierten Abend klassische Balladen. Nur wenige Zuhörer fanden den Weg in die Bieler Altstadt.

 

Die Organisatoren, der Sprach- und Theaterverein, versuchten, sich zu trösten: "Es ist zwar sehr bedauerlich, dass nur so wenig Leute den Weg zu unserem Rezitationsabend gefunden haben, doch wollen wir annehmen, es sei eine Elite." Und am Schluss von Alf Beinells Rezitationsabend vernahm man, wiederum von organisatorischer Seite, es sei schön gewesen und es habe sich gelohnt. "Wer aber zuhause geblieben ist, hat mit Bestimmtheit etwas verpasst."

 

Statt Trost zu suchen, könnte man indessen – und als Zeitungskritiker ist man dazu verpflichtet – den Tatsachen ins Auge blicken. Und da müsste man feststellen, dass der Rezitationsabend von Alf Beinell genau so viele Besucher anlockte, wie man es für solche Darbietungen erwarten darf, nämlich kaum ein Dutzend – die Vorstandsmitglieder beider Vereine eingerechnet.

 

Und wenn wir schon dabei sind, den Tatsachen ins Auge zu blicken, dann muss auch richtiggestellt werden, dass die, die zuhause blieben, nicht unbedingt etwas verpasst haben. Sie könnten nämlich auch für sich, an einem dieser unfreundlichen Winterabende, ein altes Schullesebuch hervorziehen und die klassischen Balladen von Schiller, Goethe, Heine und Meyer herausblättern und wiederlesen.

 

Oder sie könnten – falls vorhanden – wieder mal eine der unzähligen Sprechplatten auflegen, wo eine Maria Becker oder ein Ernst Deutsch oder ein Alexander Moissi eben diese Balladen mit allen Mitteln ihrer Kunst vortragen.

 

Und wenn die Zuhausegebliebenen das eine oder das andere getan hätten, dann hätten sie nichts verpasst. Oh, ich will damit beileibe nicht sagen, Alf Beinell habe bei seinen Rezitationen im Théâtre de Poche keine Leistung vollbracht. Alles, was man verlangen muss, war da: Gepflegtes, ansprechendes Auftreten, perfekte Bühnensprache nach Siebs, dazu Modulationsfähigkeit der Stimme, durchgehaltene Konzentration und ein nuancierter Vortrag.

 

Nun werden Sie vermutlich irritiert fragen: Was fehlte also noch? Und ich werde antworten: Nichts. – Das ist es eben! Was Beinell darbot, war technisch perfekt. Technisch perfekt ist aber auch die Schallplatte. Ihr Sprecher ist als Person nicht greifbar – und ebenso ungreifbar war Alf Beinell. Er las unbeteiligt wie hinter Glas, ihn trennte mehr vom Zuhörer als ein Orchestergraben, denn er führte Technik vor, statt etwas von sich zu geben. Eine Platte hätte es getan. Alf Beinell hat an menschlicher Unmittelbarkeit nichts dazugebracht.

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