Lohengrin. Richard Wagner.
Oper.
Peter Schneider, Werner Herzog, Henning von Gierke. Festspielhaus Bayreuth.
Radio DRS-2, Reflexe, 27. Juni 1987.
Zu sehen gab es am Anfang der Oper nichts. Das Vorspiel erklang bei geschlossenem Vorhang im verdunkelten Zuschauerraum.
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Aber während des Vorspiels nichts zu zeigen, ist auch schon eine Regie-Entscheidung. Die Entscheidung nämlich, der Musik als Trägerin der Handlung, als "dramatis personae", eine Hauptrolle einzuräumen.
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Die Lichtwelt des Grals wird hier im Vorspiel evoziert. Sie hören, es ist eine ungemein ausdrucksstarke, beredte Musik, die Wagner geschrieben hat. Darum aber bedeutet der Entscheid, dieser Musik die erste Rolle zu überlassen, auch einen Entscheid gegen das Theater. Demzufolge gehen die Impulse nicht mehr von der Szene aus, sondern von der Musik.
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Sie ist es jetzt, die erklärt, was in den Figuren vorgeht. Sie beschreibt, wie die kampfbereiten Männer in den Ring hineinschreiten, sie bestimmt, wie die Schwertstreiche geführt werden, sie sagt, wann der Kampf aus ist.
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Wagners Musik ist also diktatorisch; sie führt das Szepter. Man hätte nun erwarten können, dass just diese Diktatur der Musik den Regisseur Werner Herzog verleiten werde, gegen die Musik zu opponieren wie bei seiner ersten Opernregie, dem "Doktor Faust" von Busoni. Damals hat er sich erlaubt, die Oper auf den Kopf zu stellen, sehr zum Leidwesen der konservativen Musikkritiker. Doch diesmal, in seiner zweiten Opernregie, verzichtete Herzog darauf, das Werk neu zu deuten, eigene Akzente zu setzen, Wagners Ideen zu kritisieren und den Zuschauer zu irritieren.
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Als sich der Vorhang hob, standen sie alle da, wo es der Komponist verlangt, die Grafen, Edlen und Reisige, und bildeten (wie vorgeschrieben) einen offenen Kreis. Und die Männer senkten die Waffen zum Gruss, wo die Partitur es vorschrieb.
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Auch Elsa, die weibliche Hauptperson, war Wagners Elsa. Mit dem geforderten "weissen, sehr einfachen Gewande" schritt sie, nach Anweisung des Komponisten "sehr langsam und mit grosser Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu". Wenn Herzog überhaupt etwas zu verändern wagte, so tat er es im Sinne der Verknappung. Er liess zum Beispiel Elsas Gefolge weg, verzichtete auf die vier Heerhornbläser, deren Ruf aus dem Orchestergraben ohnehin erscholl – das Atmosphärische aber, das Eigentliche aber liess er unangetastet.
Was also hat Werner Herzog auf diese Weise inszeniert? Das Werk, hörte ich sagen. Der hat das Märchen herausgearbeitet, sagte jemand. Nein, sagte jemand anderes, er machte postmodernen Mystizismus. Ich selber meine, Herzog habe eigentlich aufs Inszenieren verzichtet und sich mit dem Arrangieren der Szene begnügt. Für ihn als Filmemacher gewiss eine neue, spannende Aufgabe. In seinen Filmen hat er ja nie die Erfahrung einer werktreuen Inszenierung gemacht, weil er stets seine eigenen Visionen umsetzte. Nun unterzog er sich der Aufgabe, die Ideen eines andern herauszubringen, indem er sich ihnen unterordnete. Für ihn eine neue Aufgabe. Für die Zuschauer aber kein Gewinn. Seine Inszenierung, wenn es den eine sein soll, lenkt zwar nicht vom Gang der Musik ab, sagt aber auch nicht mehr als die Musik. Die Aufführung ist damit vollkommen kommensurabel zu Bayreuth und auch zur Auffassung des Dirigenten Peter Schneider, der verlangt, jeder Interpret solle so wenig wie möglich verändern, so wenig wie möglich von dem ignorieren, was schwarz auf weiss auf dem Papier stehe: Das sei die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines Interpreten!
Der Dirigent Peter Schneider brachte mit dieser Auffassung eine sehr schön geführte, klanglich nahezu perfekte Vorstellung. Die Sänger hatten weitgehend das geforderte Bayreuth-Niveau, und wie immer war die Qualität des Chors stark und überwältigend. Die Darsteller von Lohengrin und Elsa, Paul Frey und Catarina Ligendza, wurden zwar zuweilen an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten geführt, aber das gehört zu Wagner. Im Ganzen also eine Festspielaufführung, die des historischen Orts würdig war. Und Werner Herzog kann damit rechnen, wieder ins Festspielhaus auf dem grünen Hügel eingeladen zu werden, um neben Wolfgang Wagner, Götz Friedrich und Jean-Pierre Ponnelle das Werk mit dem gebührenden Ernst und der geforderten Selbstverleugnung zur Aufführung zu bringen.