Romeo und Julia auf dem Dorfe. Frederick Delius.

Gian Gianotti. Stadttheater Bern.

Radio DRS-2, Reflexe, 7. September 1987.

 

 

Sit der Jean-Louis Martinoty, wo hüt Direktor vor Pariser Opere isch, sit der Jean-Louis Martinoty 1979 d "Carmen" het usebracht, han i z Bern kei Uffüehrig meh gseh, wo so gschyd u kritisch mit em Werk umgeit wie jetz d Inszenierig vom junge Bündner Regisseur Gian Gianotti. Uf der andere Syte aber han i o no nie (sit's "Reflexe" git) en Operepremiere erläbt, wo so ne dünne u kurze Applaus het übercho.

 

Dihr gseht also, mit "Romeo und Julia" het Bern e historischi Premiere erlebt. E Premiere, wo nid nume e neui Theatersaison und e neui Direktionszyt yglütet het, sondern ou e neue Inszenierigsstil zeigt. Ein Inszenierigsstil, wo nümm eifach dumm u brav d Vorlag umsetzt, sondern wo gschyd u kritisch ihrem Ghalt nachespürt.

 

Möget dihr nech no bsinne, wie d Novelle afaht bim Gottfried Keller? Ja? Mir gseh d Vätere uf em Feld bim Pflüege. U d Kind chöme derhär u bringe Zimis. Vo Afang a hei mir's also mit de vier Hauptpersone z tüe, u die vier Hauptpersone gseh mir am Afang i Bewegig. Keini steit still. Es isch Unrueh dargstellt. En Unrueh, wo d Vergänglichkeit vorusnimmt, d Vergänglichkeit vo dere ganze schynbar gsicherete Welt. Die Unrueh vo Kellers Novelle finde mir ou ir Opere. D Musik isch es einzigs Ströme u Fliesse, u sie het ds glyche Tempo wie der Erzählfluss i der Novelle vom Keller.

 

(Musik)

 

Wenn aber d Musik ou das Ströme vor Erzählig het überno, so het ds Libretto das nid chönne wiedergä. Es isch dütlich weniger modern als d Musik, wo 1901 entstanden isch, will's d Handlig no im Stil vor altehrwürdige Literaturopere verzellt. Es verschnidt d Gschicht i sächs Tableaus, u derzwüsche geit der Vorhang zue. Uf der Bühni wird ds nächste Tableau vorbereitet. Würd me d Opere also "wärktreu" inszeniere, wie me so seit, de würd me eigentlich gäge Geist vor Musik verstosse u d Fehler vom Libretto inszeniere. Der Gian Gianotti het das nid gmacht, u das isch ei Grund, wärum d Uffüehrig so guet isch.

 

Z Bern louft d Handlig bi offnigem Vorhang ab. Vor eme wunderbar usglüchtete Rundhorizont, wo mit syne Farbveränderige ds Ströme vor Musik ufnimmt, begleite mir ds Vreeli u der Sali vo einere Szene zur andere, u mir erläbe, wie vo eire Szene zur andere d Zyt verfliesst.

 

Für d Genialität vo dere Regiekonzeption z zeige, muss i jetz echlei i ds Detail u zum Afang zrügg. Mir gseh zersch, wenn der Vorhang ufgeit, nüt als die lääri Bühni. Es Kind rennt verby u verschwindet. Denn es zwöits. E Bueb isch es gsy, und es Meitli: Der Sali u ds Vreeli. Es isch still, u ds Orchester schwygt. D Szene het d Unwirklichkeit vom ene Traum. Und i däm Traum gseh mir, wie die beide Kind ufenandträffe, vorenand blybe stah u sich i d Auge luege. Ernst, still, läng. Und untereinisch stygt öppis zwüschen ihnen uf, und was da ufstygt, was das bedütet und was für ne Gschicht drus entsteit, das faht jetz d Musik afa verzelle.

 

(Musik)

 

D Zyt vergeit, und wo d Kind gross sy, faht d Tragödie a. Wie aber d Zit vergeit, das zeigt der Gian Gianotti uf ene ganz neui, packendi Art. Zwüschem erste und em zwöite Bild nämlich chöme d Kind wieder uf d Bühni. Springe desume wie früecher, verstecke sich u chöme wieder füre, verstecke sich wieder – u füre chöme nümm Kind, sondern e junge Bursch und es jungs Meitschi. Mit de glyche Bewegige vo de Kind renne sie ufenand zue, blybe stah u luege sich i d Augen, wie denn, am Afang, im Traum. Was ds Vreeli u der Sali als Kind im Spiel vorusgno hei, ohni d Bedütig z kenne, isch jetz Wirklichkeit worde. Sie hei d Liebi gspielt und erläbe sie jetz im Ernst.

 

Ir Gschicht, wo die junge Erwachsnige erlebe, tauche d Kind immer wieder uf, sie gönge wie ne rote Fade dür ds Gwäb vor Wirklichkeit, und me merkt plötzlich, dass sie das verkörpere, wo d Psychologe unter "Ideal-Ich" verstöh. D Kind zeige, was der Sali u ds Vreeli im gheimste möchte. Wenn sie näbenand liege und träume vor Hochzyt, de gseh mir, wie ds Kinderpaar fyrlich näbenand zum Altar louft.

 

(Musik)

 

Die junge erwachsnige Mönsche aber liege während em ganze Traum eng umschlunge näbenand, wie ne Chlungele. I der glychen Umarmig, i der glyche Chlungele aber gseh mer se ou am Schluss vor Opere untergah. U da stöh ou wieder d Kind derby, sie luegen ernst und still am unglückliche Liebespaar zue, wo nümm y und us gwüsst u der Tod gsuecht het. D Kind aber hei ds Kostüm gwächslet. Sie trage jetz Zigeunerkleider u zeige dermit, dass es no en andere Uswäg hätti gä, en Uswäg, wo der Saali u ds Vreeli nid hei gno: Der Wäg, uszstyge us der änge Welt vom Bürgertum und sich zu dene z schlah, wo als Ussesyter gälte.

 

So zeigt d Inszenierig vom Gian Gianotti nid nume brav u dumm d Gschicht vo "Romeo und Julia auf dem Dorfe", nei, d Inszenierig formuliert ou d Kritik a de Hauptfigure: ds Vreeli u der Sali hei nid d Kraft gha, en eigete Wäg z ga und uf d Welt vom Bürgertum z pfyfe. Sie sy also selber mitschuldig am Schicksal, wo se i Tod trybt.

 

I hoffe, es syg mir mit dene paar Detail glunge, nech vo dere Inszenierig z überzüge. I selber bi nid zum Stuune uscho, wie's ihre glingt, trotz ere lääre Bühni klari u glych subtili Bezüg z schaffe. Glych wie i der Sonate ds Thema exponiert wird und ir Dürefüehrig immer wieder fürechunt, verwandlet und trotzdem erkennbar, so dass me gseht, wie alles mitenand i Beziehig steit, so het ou der Gian Gianotti einzelni Gebärden und Requisite exponiert und se immer wieder a den entscheidende Stelle la uftauche, so dass das Wiederauftauchen vom Glyche eim het dütlich gmacht, wie ds Ganze im unendliche Fliesse u Ströme ...

 

(Musik einblenden)

 

... vor Musik zämeghalte wird dür ne überlägnige Kunstverstand.

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