Ihr Ende nimmt den Betrachter mit. © Apollonia Theresa Bitzan.

 
 

 

Das Ende ist nah. Amir Gudarzi.

Romanadaptation.

Sara Ostertag, Nanna Neudeck. Schauspielhaus Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2025.

 

> 2023 erschien bei DTV "Das Ende ist nah" von Amir Gudarzi. Der erste Roman des 36-jährigen iranischen Schriftstellers wurde jetzt von Regisseurin Sara Ostertag und Dramaturg Tobias Herzberg für die Bühne bearbeitet und am Schauspielhaus Wien zur Uraufführung gebracht. Der Titel lässt sich in verschiedene Richtungen auslegen. Was ist nah? Das Ende des Aufnahmeverfahrens für den Flüchtling, der im Zentrum der Erzählung steht? Das Ende der aussichtslosen Liebesbeziehung, die eine deutsche Doktorandin zu ihm aufnimmt? Das Ende des Mullah-Regimes in Persien? Das Ende des Exils? Wie auch immer: "Damit etwas kommt, muss etwas gehen." (Heiner Müller.) <

 

Anfänglich wirkt Sara Ostertags Inszenierung erzkonventionell. Alle Sprechbühnen im deutschen Raum, die sich fortschrittlich geben, stellen das Ensemble ins Zentrum und verteilen das erzählende Ich auf verschiedene Spieler, genderneutral natürlich: Die Frauen verkörpern ebenfalls Männer (umgekehrt seltener). Darüberhinaus beschäftigt das Schauspielhaus Wien – "inklusiv, feministisch, antirassistisch und ökologisch nachhaltig" – Menschen fremdländischer Herkunft. Bei einem Migrantenstück wie "Das Ende ist nah" liegt das freilich nahe.

 

Zur Live-Musik von Paul Plut realisiert das fünfköpfige Ensemble, bestehend aus Shabnam Chamani, Florentine Krafft, Kaspar Locher, Johnny Mhanna und Maximilian Thienen, durch umarmen, robben, tanzen, zerren, hüpfen, springen, reissen, kämpfen, strecken, liegen, streicheln, stossen, küssen unaufhörliches Bewegungstheater, wie das heute landauf, landab bei der Aufführung ursprünglich epischer Vorlagen angesagt ist.

 

Diesmal aber macht die Form Sinn, ist doch die Hauptfigur mit dem Namen A. (wie Amir Gudarzi) immer in Bewegung. Seine Geschichte setzt ein mit einer Fahrt in der Teheraner U-Bahn, doch kommt er nach wenigen Stationen von der Route ab. Zwei Bärtige veranlassen ihn zum Aussteigen, bevor er die Demonstration gegen das Regime erreicht hat. Von da an ist er unterwegs. Er flieht aus dem Iran; er flieht in die Türkei; er flieht nach Österreich. Hier wird er weiter herumgeschoben, auf Strassen, Plätze und Parks, in Wohnungen und Durchgangsheime, bis es am Ende heisst: "Sie sind aufgenommen." Mit diesem Bescheid endet das Stück. Doch jenseits des Theaters setzt sich die Lebensreise von A. weiter fort. Denn aufgenommen heisst nicht angekommen.

 

In diesem Kontext macht die Bühneneinrichtung von Nanna Neudeck Sinn. Sie füllt die Szene knietief mit leichten grauen Kügelchen aus einem unbekannten synthetischen Material, das weder knirscht noch stäubt, aber durch seine Unbeständigkeit die Dynamik des Spiels aufnimmt: Die Figuren haben nie festen Boden unter den Füssen. In einzelnen Abschnitten durchwandern sie Sandwüsten, dann wieder werden sie untergepflügt. Sie waten durch den Morast der Verhältnisse und ertrinken im Meer der Hoffnungslosigkeit. "Das Ende ist nah." Welch mehrdeutige Verheissung!

 

Das homogene Ensemble stellt trotz aller Diversität seinen Mann. Florentine Krafft aber ragt heraus. Es ist ihr vergönnt, einen Bogen zu schmieden. Er zeichnet nach, wie eine deutsche Doktorandin in Wien untergeht. Die junge Frau bleibt stecken in der Entwicklung, in der Arbeit, in der Sterilität der Beziehung. Ihr Sterben nimmt den Betrachter mit, und er begreift: Das Unglück findet dich überall, egal, wer du bist und woher du kommst.

Stehen. 

Hüfen. 

Tanzen.