La Corde (The Rope). Patrick Hamilton.
Schauspiel in der Bearbeitung von Lilou Fogli und Julien Lambroschini.
Guy-Pierre Couleau. Théâtre Marigny, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 11. Oktober 2025.
> Ein gut gebautes, unterhaltsames, spannendes Stück, szenisch einwandfrei umgesetzt. Lucie Boujenah (38) als Verlobte ist stark, Audran Cattin (30) als Mörder sehr stark. Dazu kommt die Doyenne Myriam Boyer (77): Ehrenlegion, endlos lange Liste von Film-, Fernseh- und Theaterrollen, mehrere Césars und Molières. Das erfahrene sechsköpfige Ensemble spielt in einem Privattheater, das Abend für Abend mit Leistung den Saal füllt. Das ist Paris. Die Deutschen dagegen, stellte Lichtenberg fest, lernen eher die Nase rümpfen als putzen. <
Zeitreise. Das Théâtre Marigny steht an der Ecke der Avenue des Champs-Élysées und der Avenue Marigny. Hier gründete am 5. Juli 1855 Jacques Offenbach das Théâtre des Bouffes-Parisiens. An derselben Stelle errichtete der Architekt der Pariser Oper Charles Garnier 1883 die Dioramen "Paris à travers les âges" und "Jérusalem". 1894 wurde das Panorama zum Theater umgebaut. In ihm entstand 1946 die Compagnie Renaud-Barrault.
Und dann ereignete sich an dieser Stelle auch das Unglück vom 1. Juli 1938. Am selben Tag, wo in Deutschland die Stadt Wolfsburg gegründet wurde, erschlug bei plötzlich ausbrechendem Gewitter ein umstürzender Baum den Dramatiker Ödön von Horváth vor dem Theater. Der jüdische Exilant war 37 Jahre alt geworden. "Wenn einer der unsern heute auf solche Weise umkommt", schrieb zehn Tage später der Satiriker Walter Mehring in einem Nachruf, "dann sollte man fast glauben, es habe sich die Naturgewalt ins Mittel gelegt, um einem Zugriff Unwürdiger zuvorzukommen." Die "Unwürdigen" liessen sich indes nicht abhalten, Horváths Namen weiter zu verfolgen. Als im selben Jahr postum sein Roman "Ein Kind unserer Zeit" erschien, wurde er im Reich verboten.
Sechzig Jahre später brachte Horváths Verlagshaus Thomas Sessler Wien am Théâtre Marigny eine Gedenktafel an:
ET LES GENS VONT DIRE
QUE DANS UN LOINTAIN AVENIR
ON SAURA DÉCERNER
LE FAUX ET LE VRAI
QUE LE FAUX DISPARAÎTRA
ALORS QU'IL EST AU POUVOIR
QUE LE VRAI ADVIENDRA
ALORS QU'IL EST AU MOUROIR
(1938)
Übersetzung:
UND DIE LEUTE WERDEN SAGEN
IN FERNER ZEIT WERDE MAN
UNTERSCHEIDEN KÖNNEN
ZWISCHEN LÜGE UND WAHRHEIT
DASS DIE LÜGE VERGEHEN WERDE
OBWOHL SIE HEUTE HERRSCHT
DASS DIE WAHRHEIT AUFERSTEHEN WERDE
OBWOHL SIE HEUTE STIRBT
(1938)
In London schliesslich kam am 17. März 1904 Patrick Hamilton zur Welt. Er publizierte 1929 sein erstes Erfolgsstück: "The Rope". Von da an konnte er von der Schriftstellerei leben. Ein weiterer Höhepunkt wurde "Gas Light" 1938. Die Verfilmung durch Alfred Hitchcock machte die beiden Titel zu Klassikern. Das letzte publizierte Werk, "Unknown Assalliant" (1955), musste der Alkoholiker Hamilton jedoch weitgehend diktieren, weil er infolge Dauerbesäufnis nicht mehr fähig war zu schreiben. 1962, sieben Jahre später, verstarb er an Leberzirrhose und Nierenversagen im Alter von 58 Jahren.
Die Morbidität zeigt sich bereits im Erfolgsstück des 25-Jährigen, wo mit Whisky und Champagner nicht gerade sparsam umgegangen wird. Zwei brillante junge Männer (in der Pariser Inszenierung von Guy-Pierre Couleau [67] wird aus dem Freundes- sinnigerweise ein Liebespaar) vollziehen mit Hilfe eines Stricks (darum der Titel "La Corde") den in ihren Augen perfekten Mord. Als reine Tat ohne Motiv soll er ihnen erlauben, sich durch "l'art pour l'art" zu Nietzsches Übermenschen aufzuschwingen.
Diese Hybris stellt das Verbrechen in einen philosophischen Rahmen: Warum wird die Tötung durch Soldaten belohnt, aber durch Privatmenschen bestraft? Die Frage wird unter den sechs Teilnehmern einer Abschiedsparty erörtert. Sie wissen nicht, dass unter dem Buffet in ihrer Mitte ein Ermordeter liegt. Damit führt das Geplapper aus der Abstraktion in die konkrete Gegenständlichkeit des Hier und Jetzt. Die Mischung von Gesellschafts- und Kriminalkomödie mit dem Ernst der ethischen Verpflichtungen gibt dem Stück Mehrschichtigkeit, Farbe und Spannung. Und die Pariser Aufführung legt mit ihrer adäquaten Umsetzung der wohlgebauten Handlung die Folgerung nahe:
Verachtet mir die Meister nicht,
und ehrt mir ihre Kunst!
Was ihnen hoch zum Lobe spricht,
fiel reichlich euch zur Gunst.
(Richard Wagner: Das Meistersinger-Lied.)
Was freilich das deutsche Feuilleton zur Produktion sagen würde, steht auf einem anderen Blatt.
Ein Toast vor dem Mord.
Dann die Heuchelei.