Giuditta. Franz Lehár.
Musikalische Komödie.
Thomas Rösner, Pierre-André Weitz, Ivo Bauchiero, Bertrand Killy. Opéra national du Rhin, Strassburg.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 2. Juni 2025.
> "Giuditta" kam am 20. Januar 1934 in der Wiener Staatsoper zur Uraufführung. Der Komponist selbst, Franz Lehár, stand am Pult. 120 Radiosender übertrugen das Ereignis. In der Titelrolle sang Jarmila Novotna: "Meine Lippen, sie küssen so heiss", und Richard Tauber jubelte: "Freunde, das Leben ist lebenswert". – In unseren Tagen nun wird die Produktion der Strassburger Oper am 7. Juni auf Radio France Musique ausgestrahlt und am 4. Juli auf OperaVision im Stream. Damit kann Franz Lehárs letztes Bühnenwerk den Nachgeborenen neu entgegentreten. <
Viele eigenartige, traurige Schicksale hat die Weltgeschichte in "Giuditta" hineinverwoben. – Vier Jahre nach der glanzvollen Uraufführung in Wien marschierten Hitlers Truppen in Österreich ein, und das Werk wurde abgesetzt. Denn das Libretto stammte von zwei Juden. Der eine, Paul Knepler, musste nach Grossbritannien emigrieren; der andere, Fritz Löhner, wurde in Auschwitz ermordet. Jarmila Novotna, die Darstellerin der Giuditta, ebenfalls Jüdin, musste ihre Karriere von 1940 bis 1956 an der Metropolitan Opera fortsetzen. Richard Tauber, auch er Jude, liess sich in London nieder und trat an Covent Garden auf.
Der Dampfer "Champollion", auf dem Giuditta in der 1935 entstandenen französischen Version aus dem Gefängnis ihrer Ehe nach Afrika flüchtet, ist keine Erfindung, sondern Realität. Die 160 Meter lange Einheit, 1924 vom Stapel gelassen, fasste 6360 BRT und an die tausend Passagiere. Am 22. Dezember 1952 lief sie an der libanesischen Küste auf Grund, und der Sturm brachte sie zum Kentern. 17 Menschen kamen um. Die Mannschaft hatte ein Licht angesteuert, das sie für die Hafeneinfahrt von Al-Manara hielt. In Wirklichkeit aber handelte es sich um die neue Pistenbeleuchtung des Beiruter Flughafens.
Am Ende von Lehárs letztem Bühnenwerk ist auch das Liebespaar gestrandet. Giuditta erkennt nach langer Trennung den früheren Mann ihres Lebens wieder. Doch er weist sie zurück. Ihm ist die Liebe abhandengekommen:
La plus aimée !
C'est une chanson brève
Ce soir, elle s'achève...
C'était un rêve...
In Giuditta sind verschiedene Frauengestalten eingeflossen: Neben den Opernheldinnen Violetta (aus "La Traviata") und Carmen auch Marlene Dietrich und Amy Jolly. Letztere wurde zuerst zum Titel eines halbbiographischen Romans von Benno Vigny, "Amy Jolly, die Frau aus Marrakesch" (1927), dann zur Figur eines Films von Josef von Sternberg, "Morocco. Herzen in Flammen" (1930), verkörpert durch Marlene Dietrich, mit Gary Cooper als Partner.
Zwei Jahre nach Erscheinen des Films erreichte Marlene Dietrich Post aus Agadir:
Madame,
Falls Ihnen dieser Brief zukommt, wird er Sie möglicherweise dadurch in grosses Erstaunen versetzen, dass Ihnen darin der Name Amy Jolly entgegentritt. Aber dieser Name gehört mir, und die traurige Liebende, die von Ihnen in den "Herzen in Flammen" dargestellt wurde, ist niemand anderes als ich selbst. Nun ist es die arme, alt gewordene Künstlerin, gebeugt von Kummer und täglichen Sorgen, die Ihnen schreibt. Ich habe eine kleine Familienpension aufgezogen, aber ohne etwas Geld kann ich sie nicht halten. Was ich als Refugium für meine alten Tage hielt, kann mich in den totalen Ruin treiben, wenn sich mir nicht eine hilfreiche Hand entgegenstreckt. Amy Jolly ist Grossmutter von armen Kindern, die sie nötig haben, denn meine Tochter ist ebenfalls sehr unglücklich.
Mit dem Ausdruck aufrichtiger Verehrung,
Amy Jolly
Marlene Dietrich überwies 2540 Francs an die Notleidende und erhielt dafür den wärmsten Dank von
Amy Jolly
Familienpension, Agadir, Talborj, Marokko.
Marlene Dietrich bat den befreundeten Journalisten Charles Patrick Graves, sich bei Gelegenheit einer Marokkoreise nach Amy Jolly zu erkundigen. Er schrieb:
Nun, ich bin nicht zu Amy Jolly gegangen. In ihrem Bordell vermietet sie kleine Mädchen von acht, neun Jahren an Soldaten der Fremdenlegion, an marokkanische Schützen und Kavalleristen. Das verursacht mir Ekel genug.
In der Strassburger Rheinoper kommt nun die vielschichtige, geschichtsbeladene, problematische "Giuditta" in einer Produktion zur Darstellung, die durch Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme (Pierre-André Weitz), Choreographie (Ivo Bauchiero) und Licht (Bertrand Killy) beeindruckt. Mit feinem Gespür für die Wirkung von Raum- und Beleuchtungwechseln entfaltet sie eine Sukzession von Bildern und Szenen, welche die sogenannte leichte Muse der Zwischenkriegszeit glanzvoll rehabilitiert. Vielleicht steht jetzt, fünfzig Jahre nach Wiederentdeckung der Barockoper, für unsere Zeit die Wiederentdeckung der Operette an.
Musikalisch bleibt indes dafür noch einiges zu leisten. Bei "Giuditta" liegen Thomas Rösner und das Orchestre national de Mulhouse in Bezug auf "historisch informierte Aufführungspraxis" noch hinter dem Niveau zurück, das Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Wien für die Barockepoche vorgegeben haben. Und für die sängerischen Hauptrollen hat die Opéra national du Rhin in Melody Louledjian und Thomas Bettinger noch keinen Ersatz für Jarmila Novotna und Richard Tauber gefunden. Aber was nicht ist, kann noch werden.
Einsam im Trubel ...
... von Variété ...
... und Zirkus.