La Wally. Alfredo Catalani.

Oper.

Pinchas Steinberg, Tim Albery, Hildegard Bechtler, Wolfgang Göbbel. Bregenzer Festspiele.

Radio DRS-2, Reflexe, 23. Juli 1990.

 

 

(Applaus)

 

Der Applaus war gross; am grössten aber für die italienische Sängerin Mara Zampieri, die die Figur der Wally verkörpert hatte.

 

(Applaus)

 

Ovationen für den Star des Abends; für die grosse Stimme. Mara Zampieri hat sich im Lauf der Aufführung spürbar in ihre Figur hineingesteigert. Anfänglich wirkte sie kühl und zurückhaltend. Dann wurde sie stolz und herrisch. Mit funkelndem Zorn verzichtet sie auf den Geliebten. Dann zieht sie sich stumm und verhalten in die Berge zurück. Doch oben auf den Gipfeln bäumt sich ihre unerfüllte Liebe auf. Und Wally kehrt hinunter ins Tal, kämpft um den Geliebten; macht sich in diesem Kampf schuldig und zerbricht. Bei alledem aber bleibt Mara Zampieris Stimme glasklar. Mit meisterhafter Technik wird sie von der Sängerin geführt. Auch da, wo die Figur zerbricht, zeichnet Mara Zampieri die Gesangslinien der Partitur biegsam und leuchtend nach, und sie gestattet sich nicht die Schwäche eines Tremolos.

 

Doch dann sucht der Geliebte endlich seine Wally auf. Der Nebenbuhlerin hat er abgeschworen. Er bietet die Hand zur Versöhnung. Und oben in der Einsamkeit bricht die grosse Liebe aus, die unten im Tal bei den Menschen nicht möglich war. Doch die Natur lässt diese Liebe nicht zu. Eine Lawine reisst den Geliebten zu Tal. Und sie, die Wally, springt ihm nach, die Felswand hinunter, in den Abgrund. So endet die Oper mit dem Todessprung der Primadonna. Man kann darüber lächeln. Wenig später hat, wie man weiss, Puccini diesen Todessprung imitiert, in seiner "Tosca".

 

In der "Wally" aber ist der Topos vorgebildet, der Topos von der Frau, die ohne den Geliebten nicht mehr weiterleben mag, und die sich aus Verzweiflung und Treue den Tod gibt: "O Schnee, o klares Schicksal, sieh, ich bin Giuseppes Frau. Geliebte Seele, öffne mir deine Arme!" – "O neve, o candino destino mio, ecce la sposa di Giuseppe! Anima cara, parimi le tue braccia!"

 

(Musik)

 

Die Geschichte ist aus. Sie verklingt in einem kurzen Orchesternachspiel. Und in diesem Nachspiel beginnt sich die Bühne leise zu drehen, und sie bewegt sich von uns weg, diese grandiose Eis- und Schneelandschaft, die inspiriert scheint von Caspar David Friedrichs Bild von der gescheiterten Hoffnung. Und währenddem die Musik verklingt und die Eiszacken langsam weggleiten, kommt unten im Tal die zerschellte Wally zum Vorschein. Eine einsame Leiche im Schneefeld, die auch im Tod die Vereinigung mit dem Geliebten nicht fand.

 

(Musik)

 

So zeigen die Bregenzer Festspiele ein Schlussbild von faszinierender Intensität, das musikalisch und optisch eine höchst bemerkenswerte Aufführung abrundet. Eine Aufführung, die zwei Stunden lang Operntheater auf höchstem Niveau vorgeführt hat. Die Oper bezeichnet sich ja gerne als Gesamtkunstwerk; und trotzdem kann man diesem Gesamtkunstwerk höchst selten begegnen, weil sich nur selten der Glücksfall ereignet, dass die Elemente ineinandergreifen und zusammenspielen. Doch dieser Glücksfall ist nun in Bregenz eingetreten. Da wird die Handlung, die als solche nicht über die Banalität des Heimatromans hinauskommt, von der Musik gesteigert. Und die Musik ihrerseits trifft auf einen Bühnenraum, der ihr antwortet und sie weiterführt. So dass in der Kombination der Bild- und Tonelemente ein Bühnenabend von grosser Wucht zustande kommt.

 

(Musik)

 

Pinchas Steinberg steht am Pult der Wiener Symphoniker. Pinchas Steinberg, ein Dirigent, der sich mit analytischem Verstand seinen Partituren nähert. Die Effekte setzt er mit genauester Dosierung, und stets durchglüht ein kaltes Feuer seine Konzeption. Dirigieren bedeutet für Steinberg das Herausarbeiten thematischer Verhältnisse. Und indem er die grossen formalen Linien klarlegt, entsteht eine intellektuelle Spannung, die die Musik als geistiges Abenteuer übermittelt. Die Emotion organisiert Steinberg vom Kopf her. Und darum wirken dann die grossen Fortissimo-Aktzente bei ihm mit unerbittlicher Schärfe.

 

(Musik)

 

Die selbe Unerbittlichkeit, die Pinchas Steinberg in der Musik herausgearbeitet hat, findet sich auch im Bühnenbild und in der Beleuchtung. Und selten habe ich eine Bühne gesehen, die so intelligent und sensibel mit der Musik kommuniziert. Dort, wo Catalanis ungleiche Musik Schwächen zeigt, werden diese Schwächen von der Bühne mit starken optischen Akzenten kompensiert. Und dort, wo die Musik ins Banale zu gleiten droht, entwickelt die Bühne verdoppelte Strenge und Kraft. Man wird sich die Namen merken müssen: Fürs Bühnenbild Hildegard Bechtler, für die Beleuchtung Wolfgang Göbbel. Die Bühne, die die beiden einrichten und beleuchten, ist so stark, dass sie auch die Inszenierung von Tim Albery erträgt und durchträgt. Alberys Regie liegt zwei Stufen unter dem Rest der Aufführung, sie ist konventionell und schablonenhaft, zuweilen auch verworren und unklar. Sie gehört zu den Faktoren, die den Erfolg der Aufführung schmälern, wie auch die unüberhörbare Schwäche des Chors, die Banalität der choreographischen Einlage und die Inhomogenität der Besetzung. - Inhomogenität der Besetzung bedeutet, das keiner der andern Sänger Mara Zampieri das Wasser reichen kann, ihr gegenüber fallen die andern ab. Und so zeigt sich denn an dieser Aufführung die Grösse und Beschränkung jeder Festivalkultur. Ein Festival kann wohl grosse Namen ins Zentrum stellen und mit der Wiederentdeckung einer vergessenen Oper neue Impulse für die Theaterroutine bringen; doch die Homogenität eines etablierten Opernbetriebs kann sie nicht überflüssig machen. So gesehen sind die Bregenzer Festspiele kein Ersatz für die Opernhäuser landauf, landab. Bregenz ist nur eine Ergänzung. Aber, was die "Wally" betrifft, eine beachtliche Ergänzung.

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