"Lohengrin" im Sternzeichen des Schwans. © Klara Beck.

 
 

 

Lohengrin. Richard Wagner.

Romantische Oper in drei Aufzügen.

Aziz Shokakimov, Florent Siaud. Opéra national du Rhin, Strassburg.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. April 2024.

 

> Das Wunder sind die Stimmen. Man kann sie an den Salzburger Festspielen hören, in Bayreuth, an der Scala, an der Met, in Covent Garden, an den Staatsopern von München, Paris und Wien ... und natürlich an der Strassburger Rheinoper. Mit der Opéra national du Rhin zeigt die franzö­sische Republik den Mitwir­kenden am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den Angestellten am Hauptsitz von ARTE, den Mitgliedern des Europa­rats und des europäischen Parlaments, dass sie weiss, was übernationalem europäischem Niveau entspricht, und löst ihre Verpflichtung glanzvoll ein. <

 

Die sechs Solisten sind erstklassig. Der Chor auch. Um Stimm­gewalt und Glanz ins Überwältigende zu treiben, wurde der Chor der Rheinoper für "Lohengrin" ergänzt durch den Chor der Oper von Angers und Nantes. Jetzt singen 61 Stimmen: "Sieg! Sieg! Sieg! Heil dir, Held!" Im Orchestre philharmonique de Strasbourg wirken 103 Musiker mit, verteilt auf Graben, Bühne, Portal­seiten und Galerien. Aus der Kombination der Streicher mit Flöten, Fagotten, Oboen, Hörnern, Klarinetten, Basstuba, Trompeten, Posaunen, Pauken, Becken, Rührtrommel, Triangel, Harfe, Glocken und Orgel bringen sie Wagners unerhörte und für seine Zeit revolutionäre Klangvielfalt heraus.

 

Aus dieser beeindruckenden Mischung ragt die Sopranistin Johanni van Oostrum noch einmal heraus, als Glücksfall, Ausnahme­erschei­nung und Besetzungsideal. Wie in Bern, wo sie vor drei Jahren die Jenufa sang, entströmt ihrer Kehle mit den ersten Worten schon pures Gold:

 

Elsa: Mein armer Bruder!

Alle Männer (flüsternd): Wie wunderbar!

König (ergriffen).

 

Mit ihrer schöntimbrierten, ungewöhnlich biegsamen Stimme, die funkelt wie kostbarer Wein, durchwandert Johanni van Oostrum Richard Wagners Tonland­schaf­ten, als wären es Seelenlandschaf­ten. Das Panorama der Empfin­dungen reicht von der Angst bis zur Zuversicht, vom Jubel bis zur Niedergeschlagenheit. Und stets ist der Ausdruck musikalisch so gefasst, geformt und zur Darstellung gebracht, dass der Wechsel der Register, Klang­farben und Schattierungen die höchsten Anforderungen erfüllt. Punkto Intensität, Geschmeidigkeit und Wahrheit kann man sich gegenwärtig nichts Schöneres denken.

 

Aziz Shokakimov unterstehen die 170 musikalisch Mitwirkenden auf der Bühne und im Graben. Der 35-jährige, in Taschkent geborene Dirigent fungiert seit der Spielzeit 2021/22 als künstlerischer und musikalischer Leiter des Orchestre philharmonique de Strasbourg. Von der französischen Kritikervereinigung (syndicat de la critique) wurde er im vergangenen Juni als "personnalité musicale de l'année" ausgezeichnet. Auffällig an seinem Dirigat ist der Verzicht auf Angeberei, verbun­den mit natürlicher Herausarbeitung der musikalischen Gedanken. Bei "Lohengrin" zeigt sich die Könnerschaft an der wohlpropor­tio­nier­ten, unauf­fälligen Organisation des Klangstroms, die dem fluiden Charakter der Komposition entspricht.

 

Derselbe Verzicht auf Angeberei zeichnet auch die Inszenierung von Florent Siaud aus. Der 44-jährige promovierte Theaterwis­sen­schafter führt vor, was auf der Bühne unter "Ecole fran­çaise" zu verstehen sei: Reduktion der szenischen Mittel aufs Minimum, Absage an Dekonstruk­tion, pantomimische Nebenhandlungen und regietheatrale Kommen­tie­rung. In Siauds zurück­hal­tender, aber hochpräziser Figurengestaltung treten Spannung und Kraft von Wagners dramatischem Entwurf unverwischt und rein ans Licht.

 

Gleich im Vorspiel realisiert sich der Kerngedanke: "Lohengrin" handelt von der Erfüllung der Sehnsucht nach dem "Erlöse uns von dem Bösen". Die Verheissung ist ablesbar am Sternbild des Schwans, und sie ist niedergeschrieben in den Büchern, die an entscheidender Stelle auf der Bühne zur Hand genommen werden.

 

Mit der Kombination von Astrologie und Märchen betont die Inszenierung die Zwangsläufigkeit der Geschichte: "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!" (Georg Büchner) So präsentiert die Strassburger Oper an einer Handlung, die im Frühmittelalter spielt, rein und unverwischt die tragische Gemengelage der Gegenwart, und wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, ist den Künstlern dafür dankbar.

Erstklassige Stimmen. 

Hohe Intensität. 

 
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