Un chapeau de paille d'Italie. Eugène Labiche.
Vaudeville.
Emmanuel Besnault und Benoît Gruel. La Compagnie de l'Eternel Eté im Théâtre le Lucernaire, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2024.
> Die kurze Vorstellung (1 Stunde 20) ist am Sonntagnachmittag ausverkauft. Im engen Theatersaal befinden sich viele Kinder in vorschulpflichtigem Alter. Sie brechen in Jubel aus, als auf der Bühne hundert Stofftiere aus einem Leintuch geschüttet werden. Und noch grösser wird das Gaudi, als sich damit, angeleitet von einem Schauspieler, eine Schlacht entspinnt: Zuerst zwischen Bühne und Publikum, dann zwischen linker und rechter Saalhälfte. Ein solches Vergnügen kann keine Bildschirmproduktion bieten; die Plüschwesen geben den Ausschlag; egal wie das Stück heisst, die Partie ist gewonnen; jedenfalls für die Kinder im Vorschulalter. <
Die Bühne ist zur Matratzenlandschaft ausgestaltet. Entworfen haben sie die beiden Co-Regisseure Benoît Gruel und Emmanuel Besnault. (Letzterer spielt auch die Hauptrolle des Fadinard.) In dieser flauschigen Umgebung kann das Ensemble tun, als sei die Geschichte des Florentiner Strohhuts ein Albtraum. Die kreischende Schwiegermutter erscheint dämonisch überzeichnet. Der kindische Bürgermeister schlägt Purzelbäume. Die Schauspieler stossen einander wie Betrunkene auf den Kopf und lassen sich selig hinfallen. So ergibt sich das Label: "Vaudeville électro-onirique".
Den Kindern ist es egal, dass die Posse von Eugène Labiche (ein Gipfelwerk des absurden Theaters avant la lettre) die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, genauer: die Codes der mittelständischen Bourgeoisie, aufs Korn nimmt. Wie die damaligen Besucher der Lustspielhäuser erkannten (und genossen), wird der bizarre Verlauf des "Chapeau de paille" angetrieben von den Kräften "Mannesehre", "weibliche Tugend", "eheliche Treue", "gesellschaftliches Ansehen" und "Mode". Demzufolge entspringt das Verdrehte in Handlung und Gebaren den sozialen Zwängen. Diese Dimension überdeckt das Ensemble mit seinem Herumalbern. Vielleicht zu recht. Denn für sich genommen wirken die Figuren Labiches auf heutige Augen wie die Exponate eines naturgeschichtlichen Museums.
Bedauerlicher ist, dass im Einheitsbühnenbild das Fortrücken von Raum und Zeit nicht mehr genügend nachvollzogen werden kann. Damit verdrängt die Inszenierung das Kausalitätsprinzip durch die Simultaneität des Traums und die Strenge der Konstruktion durch Beliebigkeit. Mit dieser Aufweichung verschwindet der Gedanke von der Bühne, dass Zwang und Logik – man könnte auch sagen: der Zwang der Logik – in den Wahnsinn führen. "Un chapeau de paille d'Italie" wird zum harmlosen Sonntagnachmittagsvergnügen für Familien mit Kindern im Vorschulalter. Die Erwachsenen jedoch darben.
Matratzenlandschaft.
Farbiges Licht.
Groteskes Spiel.