Eingefärbt von Vorurteilen, Emotionen, Erfahrungen. © Moritz Schell.

 
 

 

Ritter, Dene, Voss. Thomas Bernhard.

Schauspiel.

Peter Wittenberg, Florian Parbs. Theater in der Josefstadt, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Dezember 2023.

 

> Wie Anton Bruckners Symphonien hat Thomas Bernhards Theater seine bestimmten Themen und seine bestimmte Faktur. Und wie vom Komponisten behaupten viele vom Dramatiker, er schreibe immer das gleiche Stück. In diesem Punkt entspricht der Schriftsteller den Malern Piet Mondrian und Max Rothko. Die Meisterschaft liegt nicht im Sujet, sondern im besonderen Ton. Ihn trifft das Wiener Theater in der Josefstadt nun mit einer stimmigen Neuinszenierung von "Ritter, Dene, Voss". <

 

Regisseur Peter Wittenberg, der Mann fürs sensible Detail, und Bühnenbilder Florian Parbs, der Mann fürs sprechende Zeichen, bilden das Team, welches in "Ritter, Dene, Voss" die minimalistische Kunst von Thomas Bernhard zur Entfaltung bringt. Die beiden behandeln das Stück als Installation, zu deutsch: als Einrichtung. Folglich bringt das Wiener Theater in der Josefstadt nicht eine "tranche de vie", sondern ein Ästhetikum, welches das Verhältnis von Leben einerseits, Kunst, Wissenschaft und Philosophie anderseits reflektiert.

 

Wenn der eiserne Vorhang aufgeht, sitzt ein Aufpasser reglos auf einer Bank im Bühnenhintergrund. Haben alle Zuschauer Platz genommen, spricht er ins Funkgerät. Das Licht erlischt. Der Wächter steht auf, entfernt eine Kordel und gibt den Weg frei für die Akteure. Das Spiel kann, einmal mehr, beginnen.

 

Angefangen hat es am 18. August 1986 in einer Inszenierung von Claus Peymann an den Salzburger Festspielen; danach kam es ins Repertoire des Wiener Burgtheaters, bis es 2004 mit den Uraufführungsdarstellern Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss ans Berliner Ensemble weiterzog. 2008 erfuhr es eine Neuinszenierung am Deutschen Theater Berlin, 2009 eine am Cuvilliés-Theater München und am 17. November 2022 eine am Wiener Theater in der Josefstadt. Da steht es nun, ein Jahr später, immer noch auf dem Spielplan.

 

Wie Anton Bruckner in seinen Symphonien realisiert auch Thomas Bernhard in "Ritter, Dene, Voss" seine Themen und seine Faktur: Eine Person spricht, eine andere ist dabei. Die dritte, von der die Rede ist, wird erst im nächsten Akt auftreten. Damit etabliert sich von Anfang an ein Gefälle zwischen dem Abbild einer Wirklichkeit in der Sprache, eingefärbt von Vorurteilen, Emotionen, Erfahrungen, und der Sache, beziehungsweise Person selbst, die sich nach dem einleitenden Akt dem Auge und dem Verständnis des Zuschauers preisgeben wird, obwohl dessen Wahrnehmung ihrerseits eingefärbt ist von Vorurteilen, Emotionen, Erfahrungen.

 

Während also die Sprechenden auf der Bühne etwas Gedachtes hervorbringen, das die luftige Struktur von Salzburger Nockerln aufweist, merkt der Aufnehmende beim Beissen, dass das Aufgetischte kaum Konsistenz hat, obwohl es mit Absolutheitsanspruch vorgebracht wird: "Er hat immer gesagt. Er hat immer gehasst ..." Bei Thomas Bernhard sind die Sätze vornehmlich Attitüde, das heisst Darstellung eines Verhält­nisses zum Gesagten.

 

In seinen Kritiken unterschied Alfred Kerr zwischen "Gerüst" und "Behang". Zum "Gerüst" von Thomas Bernhards Stücken gehört die Familie. In "Ritter, Dene, Voss" besteht sie aus einem Elternpaar, das den Reichtum und Ruf des Hauses geschaffen hat. Die Porträts der Verstorbenen hängen an der Wand und begleiten die drei erwachsenen, ledigen Geschwister, von denen jedes auf seine Weise erfolglos geblieben ist. Als "Behang" bewegen sich die Worte schwankend vor jenem Etwas, welches das Leben der Geschwister vergiftet.

 

Thomas Bernhard evoziert durch die Installation von "Ritter, Dene, Voss" das Unausgesprochene, gleich wie die Bruckner-Symphonien das Unaussprechliche umkreisen. Doch jetzt ertönt ein Gong. Eine Lautsprecherstimme ruft: "Die Ausstellung wird in fünf Minuten geschlossen!" Das Spiel ist aus. Es wird an einem andern Tag wiederholt, das heisst: neu ausgestellt werden.

 

Die Aufführung erreicht die Zuschauer, wenn sie bei all ihrer Rätselhaftigkeit stimmt. Dafür muss sich der Ton zwischen Klarheit und Alltäglichkeit bewegen. Ange­leitet von Peter Wittenberg, dem Mann fürs sensibe Detail, finden Johannes Krisch als Voss (bzw. Ludwig), Sandra Cervik als Dene (bzw. die ältere Schwester) und Maria Köstlinger als Ritter (bzw. die jüngere Schwester) jene Selbstverständlichkeit, die den Figuren den Anstrich des Glaubhaften gibt.

 

Auf der Bühne von Florian Parbs, dem Mann fürs sprechende Zeichen, sind die Bilder der verstorbenen Eltern ersetzt durch die Porträts der Uraufführungsdarsteller Ritter, Dene, Voss. Von ihrem erhöhten Standort aus regieren sie das Spiel mit. Sie stellen die lebenden Schauspieler vor den Abgrund des Todes und seiner Überwindung durch die Kunst. Theater und Wirklichkeit verschmelzen zu einem neuen Ganzen und beglaubi­gen Novalis' Satz: "Genie ist das Vermögen, von eingebildeten Gegenständen wie von wirklichen zu handeln und sie auch wie diese zu behandeln."

 

Im Hintergrund ... 

... die Bilder ... 

... der Toten. 

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