Die Projektion als sinntragendes Element. © Jean-Louis Fernandez.

 

 

Arrête avec tes mensonges. Philippe Besson/Angelique Clairand und Eric Massé.

Schauspiel.

Angelique Clairand und Eric Massé. Théâtre de la Tempête, Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 5. Februar 2023.

 

> Schauspieler sind die besseren Regisseure. Diese Regel bestätigt sich auch in Paris, wo Angelique Clairand und Eric Massé den Roman "Arrête avec tes mensonges" von Philippe Besson für die Bühne bearbeitet und in Szene gesetzt haben. Wenn Schauspieler Regie führen, geht es ihnen nicht um Dekonstruktion, sondern um Darstellung. Sie inszenieren mit einem Gespür, das man nicht durch Theorie erwerben kann. Die regieführenden Schauspieler wissen, wie es ist, wenn man auf den Brettern steht, und wollen nicht sich gross herausbringen, sondern das Stück und die Kollegen. Gleichzeitig führt ihr künstlerisches Talent zu einer Fluidität, die kein Akademiker­kopf hervorbringt. <

 

Was Angelique Clairand und Eric Massé alles aus dem Schwulenroman "Hör auf zu lügen" (Arrête avec tes mensonges) von Philippe Besson herausschlagen, ist gleichzeitig bewegend und beglückend. Bewegend ist der Inhalt. Ein Bauernsohn, der sich in der französischen Provinz um 1985 verpflichtet sieht, der Familie zulieb den Hof zu übernehmen, verbietet sich das Ausleben der Homosexualität. Er geht eine Scheinehe ein, zeugt einen Sohn (wohl aus dem Wunsch, sich umzupolen), und entle­digt sich am Ende seiner Last durch Selbstmord.

 

Die Kontrastfigur ist ein Schulkamerad. Klassenbester. Er wird erfolgreicher Schriftsteller. Steht offen zu seinem Schwul­sein. Und kann trotzdem die grosse Beziehung nicht eingehen. Denn der Bauernsohn ist für ihn unerreichbar. Während also der eine vor seiner Veranlagung in die Bearbeitung der Erde flüch­tet, sublimiert der andere das Verlangen durch Hervorbringung von Literatur. Beiden Männern bleibt es verwehrt, ihr Geheim­stes blosszulegen und die grosse Liebe zu erleben.

 

Für die Zuschauer kommt das Unglück erst nach und nach ans Licht. Und hier zeigt sich die besondere Fluidität, welche die Arbeit des Produktionsteams auszeichnet. Es geht um die Eleganz, mit der die verschiedenen Ebenen der Narration verflochten werden. Durch die Verbindung von Jugend- und Erwachsenenalter bekommt der Erzählfluss Spannung, Farbe und Zwangsläufigkeit.

 

Die gescheite Dramaturgie setzt sich fort im Spiel mit den szenischen Mitteln. Auch hier ist die Fluidität beglückend, mit der die Bühne von einer Situation in die nächste gleitet. Immer ist der Wechsel inhaltlich begründet, und nicht bloss, wie häufig beim deutschen Schauspiel, durch leere Geschäftig­keit. Den einzigen Wermutstropfen bildet die unbefriedigende Diktion der beiden jungen Männer. Der Dar­steller des Bauernsohns ist häufig unverständlich, und die Satzbildung des Klassenbesten überartikuliert. Im Sinn des Realismus könnte man sagen: der eine ist verdrückt, der andere neurotisch. Glücklich macht das nicht.

 

Der 40-jährige Autor ... 

... begegnet sich selbst.

 
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