In der Mitte die starken Darsteller von Barrère und Danton. © Christophe Raynaud de Lage.

 

 

Dantons Tod. Georg Büchner.

Schauspiel.

Simon Delétang, Mathilde Chamoux. Comédie-Française, Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 5. Februar 2023.

 

> Das Ensemble ist ungleichmässig. Einzelne liefern flüssiges Gold, andere schepperndes Blech, weil sie über die Grenze ihres Könnens hinausgeführt werden. Für ein Haus vom Rang der Comédie-Française ist diese Inhomo­genität unbefriedi­gend. Zumal Stück und Inszenierung, abgesehen von den schauspie­lerischen Detailschwächen, eine Wucht sind. <

 

Im Haus seines Vaters schrieb Georg Büchner "Dantons Tod" innert vier Wochen, Anfang März 1835, kurz vor der Flucht nach Strassburg. Der Steckbrief folgte ihm auf dem Fusse:

 

Der hierunter signalisierte Georg Büchner, Student der Medizin aus Darmstadt, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner Teilnahme an staatsverräterischen Handlungen [Abfassung der sozialkritischen Flugschrift "Der hessische Landbote"] durch die Entfernung aus dem Vater­lande entzogen. Man ersucht deshalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes, denselben in Betretungs­falle festzunehmen und wohlverwahrt an die unterzeichnete Stelle abliefern zu lassen.

 

Darmstadt, den 13. Juni 1835.

 

Der vom Grossherzoglich Hessischen Hofgericht der Provinz Oberhessen bestellte Untersuchungsrichter, Hofgerichtsrat Georgi.

 

Personalbeschreibung.

Alter: 21 Jahre,

Grösse: 6 Schuh, 9 Zoll neuen hessischen Masses,

Haare: blond,

Stirne: sehr gewölbt,

Augenbrauen: blond,

Augen: grau,

Nase: stark,

Mund: klein,

Bart: blond,

Kinn: rund,

Angesicht: oval,

Gesichtsfarbe: frisch,

Statur: kräftig, schlank,

Besondere Kennzeichen: Kurzsichtigkeit.

 

Das vieraktige Drama des 21-jährigen "Staats­ver­räters" handelt vom Ende des französischen Revolutionärs Georges Danton, dem Gegner Robespierres. Nach der Abwehr der ausländischen Interventionsmächte im ersten Koalitionskrieg trat er 1794 für den Abbau des Terrors ein. Daher wurde er vom Wohlfahrtsaus­schuss als "indulgent" (Nachsichtiger) angeklagt, im Schnell­verfahren abgeurteilt und mit seinen Anhängern (Dantonisten) guillotiniert.

 

In antiklassischer Shakespeare-Manier setzt sich Büchners Schauspiel zusammen aus Gruppenszenen ("eine Gasse", "der Jakobinerklub", "eine Promenade"), Dialogen ("ein Zimmer") und Monologen ("freies Feld"). Das Bühnenbild von Simon Delétang, der auch die Inszenierung besorgt, fasst die verschiedenen Spielorte in der aristokratischen Grandeur eines Schlosses zusammen.

 

Da bewegen sich Menschen, die vor der Revolution keinen Zutritt zu dieser erhabenen Sphäre gehabt hätten: "Ah! Ich bin ich dran. Jetzt spiele ich!" (Endspiel) Die Bühne lässt offen, wohin das führt. Man sieht nur, dass der Umsturz Zerstörung bringt. Im Lauf des Dramas wird der linke Ausgang durch fallende Gesteinsbrocken verbarri­kadiert.

 

Das kluge, symbolisch andeutende Bühnenbild wechselt den Ausdruck durch beiläufige Umgruppierung von Möbeln und subtile Beleuchtungsänderungen (Mathilde Chamoux). Als Schauplatz gibt die Szene nicht nur den Verlauf, sondern auch die Zwangs­läufig­­keit des Geschehens wieder.

 

Auf die Handlung angespro­chen, erwidert Danton: "Wir mussten. Es war dies Muss. Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!" Dazu Nietzsche: "Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäss der Dummheit der Mechanik."

 

Es macht Sinn, dass Danton durch Loïc Corbery nicht mit dem Gebaren eines schweren Helden gegeben wird. Bei ihm blitzen die Allüren eines Jungen durch, der von der Revolution in die Höhe getragen wurde, sich dort berauschte und dem Verlangen nach Eros und Macht nachgab, bis ihm das Geschehen ent­glitt. Der geschichtliche Danton wurde keine 35 Jahre alt.

 

Ihm ebenbürtig spielt Marina Hands als Marion: "Ich will dir erzählen." Am rechten Portal kauert Loïc Corbery, und Marina Hands hebt in der Mitte der Bühne zu einer Schilderung an, in der sich Milieu und Veranlagung wundersam mischen: "Dann kam der Frühling; es ging überall etwas um mich vor ..."

 

Sprecherisch untadelig ebenfalls Julien Frison als Darsteller von St. Just ("Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort 'Blut' nicht wohl vertragen können.") und Christian Gonon als Barrère ("Diese Worte hätten müssen die Zunge verdorren machen, die sie gesprochen.")

 

Als Robespierre zeigt Clément Hervieu-Léger, verdientes Trup­pen­­­mitglied (sociétaire) und begabter Regisseur, stimmliche und artikulatorische Schwächen, die seiner konzeptionell und körpersprachlich überzeugenden Durchgestaltung der Rolle zuwiderlaufen. Gänzlich unbefriedigend ist Gaël Kamilindi als Camille Desmoulins. Er wird, wie die Darsteller der Gruppen­szenen, seiner Rolle weder sprachlich noch gestalterisch gerecht. So wird Simon Delétangs grosse Inszenierung durch die Inhomogenität des Ensembles beschädigt.

 

Aber vergessen wir nicht:

 

Man würde das Verdienst und die Talente sehr schlecht nach dem Erfolg beurteilen, wenn man nicht gleichzeitig den Erfolg nach den Hindernissen beurteilen würde. (Sully)

 

Nicht zu vergessen das Unerwartete, das in den Dingen dieser Welt eine grosse Rolle spielt. (Karl Neuhaus)

 

Das Einheitsbühnenbild ...

... gibt allen Szenen ...

... überzeugend Ausdruck. 

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