Das Kleist-Motiv der Sehnsucht. © Sandra Then.

 

 

Das Käthchen von Heilbronn. Heinrich von Kleist.

Schauspiel.

Elsa-Sophie Jach, Marlene Lockemann, Samuel Wootton, Barbara Westernach. Bayerisches Staatsschauspiel, München.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 12. Januar 2023.

 

> Ein Teil der Aufführung ist unverständlich (ein Viertel etwa, vielleicht gar ein Drittel) - Opfer der lamentablen Diktion, fragwürdiger Tonverhältnisse und problematischer Kürzungen. Das lässt sich verbessern. Nicht verbessern aber lassen sich alle Szenen, in denen Vincent zur Linden in der Doppelrolle von Kleist und Käthchen auftritt, im Gespräch mit den Figuren seiner Epoche, in den Begegnungen mit dem Grafen Wetter vom Strahl. Da bekommt das Theater eine Intensität, die den abgebrühtesten Kritiker in die Knie zwingt und zum Urteil führt: Trotz verschiedener Anfechtbarkeiten bietet die Inszenierung von Elsa-Sophie Jach eine bemerkenswerte Zahl von Momenten, für die das Prädikat "unübertrefflich" angemessen ist. <

 

Den Schlussapplaus nimmt das junge Ensemble geschlossen entgegen. In einer Reihe verbeugt es sich vor den Zuschauern. Mit dieser Aufstellung betont es die Gemeinschaftsleistung. Niemand soll mehr Applaus bekommen als die andern: nicht die Musiker, nicht die Hauptrollen, nicht die Nebenrollen. Und so stellt sich der Darsteller Käthchens, der auch der Darsteller Kleists ist, bei jedem Hervorkommen ganz zuäusserst auf, mal am linken, mal am rechten Portal, und nur einmal fasst er bei der Aufstellung die Hand des zweiten Hauptdarstellers, den des Grafen.

 

Damit trägt die Aufführung bis zum Schluss den Stempel von Elsa-Sophie Jachs Regiekonzeption: Es geht nicht um die Oberfläche, sondern um die Tiefe. Nicht um das, was die Bühne zeigt, sondern um das, was sie hervorrufen will. Die Fassung des "Käthchens von Heilbronn", in welcher die Regisseurin das Drama kombiniert mit Ausschnitten aus Christa Wolfs Erzählung "Kein Ort. Nirgends" (der fiktiven Begegnung des Dichters Kleist mit der Lyrikerin Karoline von Günderrode), zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr das Unausgesprochene, das Dahinter, das Verborgene, jedoch in Wirklichkeit Übermächtige Raum greift - so dass durch das Gesagte und Gespielte am Ende das Intendierte den Zuschauer anspricht und packt.

 

Dieselbe Dichotomie hat auch Kleist erfahren, auf der Bühne und im Leben: "Was ich vor dem inneren Auge habe, ist vollkommen; aber was ich zeige, ist anfechtbar." Die Teilung geht indes nicht allein durch seine Seele, sondern auch, im Stück, durch die Seelen Käthchens, des Grafen vom Strahl, der Kunigunde von Thurneck, des Kaisers. Und in der Inszenierung setzt sich die Teilung fort im Darsteller Vincent zur Linden, der Kleist verkörpert und Käthchen auch; daneben gabelt sich die Aufführung in Video und Bühnenspiel, in denen sich die Kombination von Drama und Erzählung spiegelt; dazu kommt die Auseinandersetzung Heinrich von Kleists mit Karoline von Güntherrode ... Teilung, Teilung, Teilung. Immer geht es um das Auseinanderfallen von Ideal und Wirklichkeit. Nur die einfachen Dienergestalten, der Knecht, die Zofe, sind seelisch ganz und unbedroht: "Ich sagte, dass ich gar wohl wüsste, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewusstsein anrichtet." (Das Marionettentheater)

 

Die Teilung von Ideal und Wirklichkeit spiegelt auch Marlene Lockemanns Bühne. Die Heiligkeit der Liebe, der Kleist auf seinem Weg durch die Erde und Hölle bloss Raum geben konnte im Reich des Wunders, des Traums und des Unbewussten, wo ein glänzender Engel die reinen Seelen zusammenführt, dieser Heiligkeit setzt das Bühnenbild eine vielfältig gebrochene Trasharchitektur entgegen. Dasselbe Prinzip bestimmt ebenfalls die Komposition von Samuel Wottoon und das Licht von Barbara Westernach. Per aspera ad astra (durch das Rauhe zu den Sternen). So lautet das Motto im gleichgelagerten "Prinzen von Homburg" (auch von Kleist).

 

Zusammengefasst zeigt sich die Unübertrefflichkeit von Elsa-Sophie Jachs Inszenierung an drei Punkten: Erstens an der Konsequenz, mit der sie die Regieidee, die mit der Werkidee zusammenfällt, bis in die Details hinein umsetzt. Zweitens an der Fähigkeit, das Thema der Teilung durch einen dialektischen Sprung auf eine höhere Ebene zu bringen, indem sie an mehreren Stellen dem Ernst des Dramas die Ungebundenheit des Humors entgegensetzt. (Die roten Neonbuchstaben zum Beispiel, die durch ihre Farbe den Refrain von Blut, Liebe und Tod aus dem Stück aufnehmen, verwandeln das Wort KÄTHCHEN am Schluss zu einem ironisch-witzigen und gleichzeitig befreienden, dadaistisch-albernen und doch sinnfälligen Kommentar wie KÄSE und KNETE.) Drittens realisieren die vorzüglichen Darsteller des Grafen (Moritz Treuenfels) und Kleists, bzw. Käthchens (Vincent zur Linden) eine Liebesszene von nie gesehener Schönheit, Reinheit und Intensität.

 

Mit diesen Vorzügen zwingt die Inszenierung von Elsa-Sophie Jach den abgebrühtesten Kritiker in die Knie, allen Anfecht­barkeiten zum Trotz.

 

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