Die Stille der ländlichen Verhältnisse. © Matthias Horn.

 

 

Adern. Lisa Wentz.

Schauspiel.

David Bösch. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. Oktober 2022.

 

> In der Corona-Zeit hat die heute 27-jährige Lisa Wentz ein schönes, stilles Stück geschrieben, und ein Jahr später brachte es David Bösch schön und still auf die Bühne des Burgtheaters. Doch unter der Oberfläche transportiert die handlungs-, wort- und emotionskarge Geschichte blutvolle organische Verläufe, wie es der Titel "Adern" andeutet. Durch sie wird das Schweigen der Figuren vielgestaltig: mal gefüllt, mal lastend, mal sprechend, mal bleiern, mal anrührend, mal leer. Wegen dieser Fülle ist Lina Wentz' Stück nicht allein schön und still, sondern auch stark. <

 

Beeindruckend sind die beiden Hauptrollenträger. Ihnen würde man den Nestroy-Preis für die beste Darstellung von Herzen gönnen; gerade, weil sie, auf den ersten Blick, so wenig machen. Sie spielen kaum. Aber sie wirken. Immer ist bei ihnen der Mensch präsent, greifbar, fühlbar, auch wenn er nur steht, geht, kommt, schweigt, blickt, mit den Gegenständen des ländlichen Haushalts hantiert wie dem Holzbeil oder der Bratpfanne oder dem Schnapsglas.

 

Hinter dem Geheimnis der Wirkung steht die Kunst der Besetzung. Zuerst muss man im Ensemble eine Sarah Viktoria Frick und einen Markus Hering haben, dann kann man die Rollen von Aloisia und Rudolf ausfüllen. Die beiden einfachen Wesen finden zueinander durch die Vereinigung von unausgesprochenem Leid, grundgütiger Ergebenheit und hartem, ländlichem Pragmatismus.

 

Ihre Verhältnisse sind ganz schlicht. Der verwitwete, alternde Rudolf braucht eine Frau fürs Haus und die Kinder. Darum gibt er ein Inserat in der Zeitung auf. Die junge, vom Vater ihrer Tochter im Stich gelassene Aloisia braucht einen Unterschlupf für sich und das Kind. Dass Rudolf weit weg von Dörfern und Menschen wohnt, kommt ihr gelegen. Darum fragt sie als erstes: "Ist die Stelle noch frei?"

 

Zwischen den beiden wortarmen Aussenseitern kommt es zur Heirat, "damit die Menschen nichts zu reden haben". Vorher schlief Rudolf getrennt von Aloisia in der Küche. Jetzt hat sie nichts dagegen, dass er zu ihr in die Stube kommt: "Wir sind ja verheiratet." So wenige Sätze brauchen die Figuren in der Welt von Lisa Wentz. Die Autorin hält die Lakonie durch. Das gibt ihrem Stück Kraft. Und der Regisseur vertraut auf die Ausstrahlung der Darsteller. Das macht die Inszenierung stark.

 

Es treten nur vier weitere Schauspieler auf: Eine stumme Kinderdarstellerin für die Eingangsszene; eine Freundin oder Verwandte Aloisias, durch die die Aussenwelt in die Abgeschiedenheit dringt (Andrea Wenzl); ein eheloser, resignierter Kumpel Rudolfs, den die Verhältnisse niederdrücken (Daniel Jesch); und "Die Berg" (Elisa Plüss). Sie bringt durch Mikrofon-Verstärkung und Zusatz von Off-Stimmen den Untergrund zur Sprache. Als Bergarbeiter wühlte Rudolf in den Adern des Gesteins. Dadurch wurde er mehrfach gezeichnet. In seinem Gemüt hallt ein Grubenunglück nach, und in seiner staubigen Lunge pickt der Tod.

 

Die Schwermut von einsamen ländlichen Verhältnissen kommt zwar mit "Adern" nicht zum ersten Mal aufs Theater. Aber die Reinheit und Zurückhaltung, mit der sie die Inszenierung zeichnet, geben dem Stück Eindringlichkeit. Zur schönen, stillen Aufführung passt Goethes Fazit aus der "italienischen Reise": "Wenn, was ich sage, nicht neu ist, so hab ich es doch bei neuem Anlass recht lebhaft gefühlt."

 

Die Lakonie ... 

... gibt dem Stück ... 

... seine Kraft. 

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