Mazeppa: Als wenn's gestern gewesen wäre. © Marlies Kross.

 

 

Mazeppa. Peter I. Tschaikowsky.

Oper.

Alexander Merzyn, Andrea Moses, Christian Wiehle. Staatstheater Cottbus.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 3. November 2021.

 

> Zuerst sieht man nichts. Man hört nur das philharmonische Orchester Cottbus: seine Energie; seine Schärfe; die Schönheit der Register; die Genauigkeit der Einsätze. GMD Alexander Merzyn ist offensichtlich ein Gestalter mit Sinn für Rhythmus und Ausdruck. Jeder Stelle gibt er den genauen Charakter: In Lyrischen beherrscht und doch strömend; im Dramatischen machtvoll, aber nie knallig; im Volkstümlichen mitreissend und gleichwohl nobel. Eine "Mazeppa"-Interpretation der grossen Bögen. Dann tritt das Bild hinzu. <

 

Szenograph Christian Wiehle stellt Räume und Zeichen auf die Bühne, die der Grossteil des Cottbuser Opernpublikums 40+ noch mit eigenen Augen gesehen hat: Die roten Fahnen mit Hammer und Sichel; den Sowjetstern; den Auftritt von Parteigranden mit ihren charakteristischen Brillengestellen; den vielfenstrigen Plattenbau; den Kaugummiautomaten; den trostlosen Kiosk an der Ecke.

 

In dieser Welt siedelt nun Regisseurin Andrea Moses eine Opernhandlung an, die sich historisch im 17. Jahrhundert ereignet hat, als der Kosakenhauptmann Iwan Stepanowitsch Masepa die Wirren des Kriegs und den Einmarsch fremder Armeen in sein Heimatland, die Ukraine, brachte. Also nichts Neues unter der Sonne. "Die Welt ist und bleibt Welt, das heisst des Teufels Braut", erklärte Martin Luther in seinen Tischreden.

 

Die Gleichförmigkeit des geschichtlichen Elends zeigt die Inszenierung durch Überblendungen: Einmarsch der Sowjet­truppen; Einmarsch des Kapitalismus. In der Mitte das Volk. Das Volk von Cottbus. Tua res agitur. Die Zuschauer sehen sich von der Kamera erfasst und auf den Bühnenvorhang projiziert. Jetzt erklingen Stimmen auf dem Balkon. Es ist der Chor. Gesichter und Hände drücken Beteiligung aus. Jetzt befindet sich das Publikum im Schraubstock der Geschichte.

 

Ohnmächtig erkennt es die Schlaumeierei der Mächtigen (im konkreten Fall Mazeppas), die Decke auf ihre Seite zu ziehen. Tschaikowskys Oper denunziert Hybris und Grössenwahn, denen die Führer aller Zeiten erlagen, und die Cottbuser Inszenierung zeigt den Niedergang mit starken Bildern: Die Ruine des Plattenbaus ist am Ende mit einem Netz überzogen. Die grünen Parkstühle sind verbrannt und zerschmolzen. Der Fussball ohne Luft. Die Welt durchlöchert und verrusst. Die Gesichter gezeichnet. Aus einem schwarzen Fass steigt Rauch. Da wird gekocht. Eine Bande verwahrloster Kinder bettelt die Vorübergehenden an. Abgewandelte Wiederkehr des Gleichen. Nichts Neues unter der Sonne.

 

Auf der Bühne lauter starke Stimmen. "Akzentfreies Russisch, auch im Chor", stellt eine Kennerin aus Berlin fest. "Wäre an der Spree nicht zu haben." Könnte überhaupt dort nicht besser sein, behauptet der Kritiker aus Bümpliz und der Welt. Wenn es noch etwas zu verbessern gäbe, dann die Personenregie: Gänge, Stellungen und Handlungen sind oft gar approximativ. Und gleichwohl – von Berlin aus dürfte es sich lohnen, Cottbus im Auge zu behalten. Denn bei "Mazeppa" bietet es alles andere als Provinz.

 

Die Gewalt aller Zeiten. 

Verführen und Versprechen.

Dann die Enttäuschung. 

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